Der Untersuchungszeitraum der Ehegerichtspraxis reicht von der Mitte des 16. bis in das letzte Drittel des 19. Jahrhunderts und überschreitet so die gängige Zäsur zwischen Früher Neuzeit und Später Neuzeit bzw. Vormoderne und Moderne.
Die Untersuchung der Ehegerichtsbarkeit der katholischen Kirche beginnt mit dem Jahr 1558 und endet 1783 (vorläufig), als das Josephinische Ehepatent die Ehe als „einen bürgerlichen Vertrag“ definierte und die Ehegerichtsbarkeit an die „landesfürstlichen Gerichte“ übertrug. 1558 wählten wir als Beginn, da ab diesem Zeitpunkt eine dichtere Überlieferung der Protokollbücher des Konsistoriums des Unteren Offizialats der Diözese Passau einsetzt. Die ersten sechs Jahre des Untersuchungszeitraumes liegen damit vor dem am Konzil von Trient im November 1563 verabschiedeten Dekret Tametsi. 1783 endete (vorläufig) die kirchliche Gerichtsbarkeit in Ehesachen.
Die weltliche Ehegerichtsbarkeit untersuchten wir zwischen 1783 und 1850. In der österreichischen Rechtsgeschichte wie auch der Geschichtsschreibung wird vor allem die Bedeutung des ABGB von 1811 betont. Für die Ehegerichtsbarkeit stellte bereits das Josephinische Ehepatent von 1783 einen wesentlichen Einschnitt dar. Es definierte die Ehe als einen bürgerlichen Vertrag und übertrug die Ehegerichtsbarkeit von den kirchlichen Konsistorien an weltliche Gerichte und Obrigkeiten. Zudem erlaubte in den ersten Jahren nur mehr einverständliche Scheidungen von Tisch und Bett. Das Ende des Untersuchungszeitraumes der weltlichen Ehegerichtsbarkeit setzten wir mit der Neuorganisation der Gerichte nach der Revolution von 1848. Ab 1. Juli 1850 waren nicht mehr die Magistrate und Ortsgerichte, sondern Bezirks- und Landesgerichte (später Kreisgerichte) für die Eheverfahren zuständig.
Zwischen 1857 und 1867, der letzten Jahre unseres Untersuchungszeitraumes, hatte die katholische Kirche aufgrund des Konkordats von 1855 neuerlich die Jurisdiktion in Ehesachen inne. 1868 ging die Gerichtsbarkeit in Ehesachen wieder an die weltlichen Gerichte.
Im kurz skizzierten Untersuchungszeitraum, der sich über mehr als drei Jahrhunderte erstreckt, konnten wir selbstverständlich nicht alle Eheverfahren erheben, sondern mussten zeitliche Schwerpunkte setzen (vgl. dazu Datenerhebung).
Andrea Griesebner/Georg Tschannett, 2016
Letztes Update: Andrea Griesebner, 1. Februar 2019