Appellationen und Exekutionen

1. Appellationsverfahren | A
2. Appellationsverfahren | B
3. Exekutionsverfahren | Cohabitierung
4. Exekutionsverfahren | Ehelicher Unterhalt

Wie im Unterpunkt Methode ausgeführt, hatten beide Eheteile das Recht gegen das Endurteil, egal ob dieses im summarischen Verfahren oder im Beweisverfahren gefällt worden war, das Rechtsmittel der Appellation zu ergreifen. Im Folgenden sollen diese Verfahren sowohl quantitativ wie qualitativ näher betrachtet werden.

1. Appellationsverfahren (A)

gegen ein Urteil im Cohabitierungs-, Trennungs- oder Scheidungsverfahren

In 17 Verfahren, in welchen ein Eheteil die Scheidung (11 Verfahren), die Trennung von Tisch und Bett (3 Verfahren) oder die Anordnung der Cohabitierung (3 Verfahren) verlangt hatte, trat das gerichtliche Urteil nicht wie üblich nach zwei Wochen in Kraft, da ein Eheteil das Rechtsmittel der Appellation ergriffen hatte. Acht der 17 Urteile waren nicht im summarischen Verfahren, sondern erst nach einem in aller Regel sehr langen Beweisverfahren gefällt worden. In 13 Fällen appellierte ein Eheteil gegen ein Urteil, welches die Cohabitation vorschrieb, in 3 Fällen gegen ein Urteil, welches die Ehe unbegrenzt von Tisch und Bett geschieden hatte und in einem Fall gegen die Befristung der Trennung auf ein Jahr.

Aus einer Geschlechterperspektive fällt erstens auf, dass es vor allem Frauen waren, welche das Rechtsmittel der Appellation ergriffen. 13 der 17 Appellationsverfahren waren von ihnen initiiert worden. In 11 Verfahren beeinspruchten die Ehefrauen das Cohabitationsurteil, in zwei Verfahren das Scheidungsurteil. Während die überwiegende Mehrheit der Frauen zu verhindern versuchte, nach oft jahrelangem Prozessieren das eheliche Leben wiederaufnehmen zu müssen, appellierten zwei von vier Ehemännern gegen ein Trennungs- bzw. Scheidungsurteil.

Auch die der Appellation zugrunde liegenden Verfahren in der Hauptsache waren in ihrer überwiegenden Mehrheit (15 von 17 Verfahren) von den Ehefrauen angestrengt worden, welche die Scheidung (10 Verfahren), die Trennung von Tisch und Bett (2 Verfahren) und die Anordnung der Cohabitierung (3 Verfahren) gefordert hatten. Zwei von ihnen, Elisabeth Spänglin und Maria Catharina Parzerin, waren im Vorfeld wegen eigenmächtiger Trennung von den Ehemännern geklagt worden und hatten das Recht erhalten, im Beweisverfahren legitime Gründe für eine Scheidung von Tisch und Bett vorzubringen. Elisabeth Spänglin, die ihrem Ehemann physische und verbale Gewalt vorwarf, verlor das Beweisverfahren und wäre daher verpflichtet gewesen, die Cohabitierung mit ihrem Ehemann wieder aufzunehmen. Sie appellierte 1667 gegen das Cohabitierungsurteil.

Maria Catharina Parzerin hingegen war es in einem sich über viereinhalb Jahre ziehenden Beweisverfahren gelungen, die physische Gewalt ihres Ehemannes zu beweisen. Nachdem sie zusätzlich unter Eid beschwor,

„daß der Partzer mit der hacken und hackmesser auf sie zu werfen, auch die pistohlen geladen und sie todt zu schiessen angedrohet“. (DAW WP 140_93r-93v)

schieden die Konsistorialräte im Juni 1752 die Ehe von Tisch und Bett. Johann Parzer ergriff gegen das Scheidungsurteil das Rechtsmittel der Appellation. Auch Anton Scheib appellierte gegen die Scheidung von Tisch und Bett, die Catharina Scheibin nach fast dreieinhalbjährigem Verfahren im August 1780 durchgesetzt hatte, nachdem es ihr gelungen war, den geforderten Beweis für die physische Gewalt ihres Mannes zu erbringen. Die Nuntiatur folgte der Argumentation von Johann Parzer und dessen Anwalt und hob am 8. Jänner 1753 das Urteil der ersten Instanz auf, womit Maria Catharina neuerlich zur Cohabitierung mit ihrem Ehemann verpflichtet wurde. Im Fall des Appellationsverfahrens von Anton Scheib ist kein Urteil überliefert.

Die beiden anderen Männer wollten dagegen die Scheidung in der zweiten Instanz durchsetzen. Graf von Althan war von Barbara Elisabeth, geborene Herzin, wegen eigenmächtiger Trennung geklagt worden. Mit dem Argument, dass die Eheschließung ungültig sei, hatte er die geforderte Cohabitation verweigert, war von den Konsistorialräten allerdings dennoch zur Cohabitierung verpflichtet worden. Er appellierte 1749 gegen das Cohabititationsurteil. Anton von Brambilla ergriff 1781 das Rechtsmittel der Appellation, da die Konsistorialräte seine Ehe mit Franziska,  geborene Kronin, nicht wie beantragt geschieden, sondern ihm nur ein Jahr Toleranz zugestanden hatten.

Gerichtliche Vergleiche

Ähnlich wie die Beweisverfahren waren auch die Appellationsverfahren nicht nur zeitaufwendig und emotional belastend, sondern auch kostenintensiv. Es verwundert daher nicht, dass die klagenden Ehefrauen sich zu außergerichtlichen Vergleichen bereit erklärten, die vermutlich nicht immer einen Niederschlag in den Konsistorialprotokollbüchern fanden. Von vier Frauen wissen wir dezidiert, dass sie mit ihren Ehemännern einen Vergleich schlossen. Sibylla Landringerin hatte 1659 die Scheidung von Tisch und Bett beantragt. Im bedingten Endurteil, welches ihr entweder die Cohabitierung oder aber ein Beweisverfahren auftrug, fassten die Konsistorialräte ihre Klagepunkte wie folgt zusammen:

„eine unerträgliche cohabitation ex puncto saevitici [wegen Gewalttätigkeit], capitalis inimicitiae [Feindschaft] und eines leibschadens betreffend, geben ihr hochwürden herr officialis und venerabile consistorium über beederseits müntlich vorgebrachte noturfften zu abschidt: die klägerin seye dem beklagten ehelichen beyzuwohnen, oder aber ihr vorgebrachte klag ordentlich zuweisen schuldig. Doch stehet dem beklagten sein gegenweysung bevohr.“ (DAW WP 20_761-762)

Nachdem Sybilla Landringerin das Beweisverfahren verloren hatte, appellierte sie 1662 gegen das Cohabitierungsurteil und legte am 3. November 1662 den Appellationseid ab. Für den 26. Februar 1663 vermerkt das Konsistorialprotokoll, dass sie die Appellationsklage zurückzog:

"Landringerin contra Landringer maritum ersucht um gnädige akzeptanz der rücknahme der klage“.

Auch Maria Clara Niclasin, welche nach einem verlorenen Beweisverfahren im Februar 1664 zur Cohabitierung verurteilt worden war, schloss im Appellationsverfahren einen Vergleich mit ihrem Ehemann. Dieselbe Option wählten Elisabeth Praunin und Christina Kellnerin, welche 1710 bzw. 1763 gegen das Cohabitierungsurteil nach einem summarischen Verfahren appelliert hatten.

Urteil ist nicht überliefert

Anna Sophia Strohmayerin hatte sich auf keinen Vergleich eingelassen, sondern das Appellationsverfahren zu Ende geführt. Sie hatte 1716 die Trennung von ihrem Ehemann beantragt, die sie auch mit Ehebruch begründete. Nach einem verlorenen Beweisverfahren wurde sie im Juni 1718 zur Cohabitierung verurteilt, wogegen sie die Appellation ergriff. Nach einem fast sechsjährigen Verfahren entschied die Nuntiatur laut Eintrag im Konsistorialprotokollbuch am 5. April 1724 den Prozess. Der Abschied, wie das Urteil im Appellationsverfahren meist genannt wurde, wurde dagegen nicht vermerkt:

"In der dombprobstey sindt nachfolgendte process erlediget wordten: in causa Anna Sophia Stromayerin contra Johann Stromayer, maritum. Der abschiedt ist besonders verfast." (DAW WP 125_161v)

Auch im Fall von Catharina Hammerin wurde das Urteil des Appellationsverfahrens als gesondertes Schriftstück verfasst, welches nicht mehr überliefert ist. Ihr Ehemann hatte 1660 die Trennung beantragt und 1662 im Beweisverfahren ein Scheidungsurteil erhalten, gegen welches Catharina Hammerin das Rechtsmittel der Appellation vor allem deshalb ergriff, weil ihr kein Unterhalt zuerkannt worden war. Wie ein Eintrag vom 3. September 1663 belegt, waren die Akten des Appellationsverfahrens der päpstlichen Nuntiatur zur Urteilsfindung übergeben worden:

„Apostelbrief an die apostolische Nuntiatur in Angelegenheit der Appellation der Catharina Hammerin Gregor Sigismund Hammer, eingelegt nach dem Urteil am 4. September [1662], Eid am 15. September [1662] abgelegt. Beigelegt werden die 4 Hauptschriften, welche in deutsch protokolliert und ins Lateinische übersetzt wurden.“ (DAW WP 22_548r)

Auch in diesem Fall ist das Urteil in den Konsistorialprotokollen nicht verzeichnet.

Abgebrochene Verfahren

Für zwei Ehepaare konnten wir rekonstruieren, dass, aus welchen Gründen auch immer, die klagende Ehefrau das Appellationsverfahren nicht mehr weiter betrieb und auch der Ehemann keinen Urteilsspruch verlangte.

Sabina Weißhappelin, geborne Dreßlin, die 1763 die Scheidung eingereicht hatte, appellierte gegen das Cohabitierungsurteil. Im Dezember 1763 verlangte der Ehemann das Appellationsverfahren für „verlassen“ zu erklären. Die Ehefrau, so seine Argumentation, hätte die Appellation am 14. November zwar rechtzeitig angemeldet, ihm allerdings die erste Appellationsschrift erst am 1. Dezember und damit nicht fristgereicht überreicht. Die Konsistorialräte lehnten den Antrag ab und entschieden, dass Sabina Weißhappelin das Recht habe, das Appellationsverfahren fortzusetzen:

„dass der impetratin die dem 24. November jüngsthin angemeldete appellation der ordnung nach zu prosequiren bevorstehen solle.“ (DAW Wp 150_167)

Wie aus einem von Sabina Weißhapplin 15 Jahre später angestrengten Scheidungsverfahren deutlich wird, setzte Sabina weder das Appellationsverfahren fort noch lebte sie mit ihrem Ehemann zusammen. Im Scheidungsverfahren 1779 argumentierte sie, dass sie seit dem Cohabitationsurteil aus dem Jahr 1763 „um nicht ermordet zu werden, allein gelebt.“ Das Konsistorium trug ihr ein Beweisverfahren auf, welches sie vermutlich ebenfalls nicht antrat. Zumindest sind keine weiteren Einträge zum Ehepaar Weißhappel*in in den Konsistorialbüchern verzeichnet.

Auch Josepha Widtmannin, die 1772 die Scheidung einreichte und nach einem dreijährigen Beweisverfahren zur Cohabitierung mit ihrem Ehemann verurteilt worden war, hatte das Appellationsverfahren offenbar abgebrochen und dennoch nicht mit ihrem Ehemann gelebt. Anton Widtmann, der als „k.k. gubernialsecretaire“ in Polen stationiert war, forderte 1779, dass seine Ehefrau ihm nach Polen folge oder aber in einem Kloster untergebracht werden sollte. Er bezog sich nicht auf ein Urteil im Appellationsverfahren, sondern auf das Cohabitationsurteil der ersten Instanz vom 25. Febraur 1775. Josepha Widtmannin entgegnete, dass ihr Ehemann „ein ganzes jahr und länger hier gewesen, ohne die cohabitation zu begehren” (DAW PP 205_28v-29) und weigerte sich, ihm nach Polen zu folgen.

Zu vermuten ist, dass auch Elisabeth Spänglin und Elisabeth Praunin das Appellationsverfahren nicht weiter verfolgten. Beide hatten nach einem verlorenen Beweisverfahren, in welchem sie die Scheidung verlangten und zur Cohabitierung verurteilt worden waren, das Rechtsmittel der Appellation ergriffen. Ähnliches dürfte für das Appellationsverfahren von Anton Scheib gelten, der 1780 gegen die Scheidung, die seine Ehefrau im Beweisverfahren erhalten hatte, appellierte.

Urteil aufgehoben bzw. abgeändert

Wie bereits erwähnt, hatte im Appellationsverfahren von Johann Adam Parzer die Nuntiatur im Sinne des Ehemannes entschieden und das Scheidungsurteil der ersten Instanz aufgehoben, dem Ehemann allerdings aufgetragen, eine „Caution“ zu leisten und künftig „friedlich zu cohabtieren”. Johann Adam Parzer musste bei der Tagsatzung am 8. Jänner 1753 einen Eid leisten, dass er künftig mit seiner Ehefrau „friedlich cohabitieren wolle”. Maria Catharina trugen die Konsistorialräte auf, gemäß dem Urteil der Nuntiatur mit ihrem Ehemann zu leben; Johann Adam Parzer erteilten sie das Recht, dass Appellationsurteil mit Hilfe des Konsistoriums exekutieren zu lassen:

"vigore sententiae nuntiaturae [...] ihme zu cohabitiren, sonst solle der Partzer sie per censuras ecclestiasticas darzu treiben.“ (DAW WP 140_235r)

Wie zahllose Exekutionsverfahren zur „Vollziehung der Cohabitierung“ in den folgenden Jahren belegen, war Maria Catharina Parzerin trotz mehrfachen Kirchenarrests nicht bereit, dem Urteil der Nuntiatur bzw. des Konsistoriums Folge zu leisten.

Im Appellationsverfahren von Anton von Brambilla, k.k. Hofchirurg, der am 1. Dezember 1780 von den Wiener Konsistorialräten statt der beantragten Scheidung nur eine einjährige Toleranz erhalten hatte, konnten wir das Appellationsurteil über ein Folgeverfahren erschließen. Die Beschränkung auf ein Jahr hatten die Konsistorialräte wie folgt begründet:

"Notabene: Nachdem das consistorium an dem Brambilla eine unaussöhnliche abneigung gegen seine ehegattin bemerkte, indessen aber derselbe wider sie keine ursachen, deren er zwar viele angebracht und von ihr widersprochen worden, zur scheidung dargethan, also fand selbes für nöthig, diesen eheleuten mittels und aus zu allenfälliger aussöhnung eine toleranz zu ertheilen." (DAW WP 160_52-53)

Das Appellationsurteil dehnte den Zeitraum der Toleranz von einem auf zwei Jahre aus. Das Urteil verwehrte der Ehefrau zugleich das Recht, ihren Wohnort selbst zu bestimmen. Franziska von Brambilla wurde dazu verurteilt, die Toleranzzeit in einem Kloster zu verbringen. Sich auf das Appellationsurteil beziehend, beantragte Anton von Brambilla im Juni 1781, dass Franziska von Brambilla vom Dominikanerinnenkloster St. Laurenz in das Ursulinenkloster transferiert und ihr jeder Ausgang verboten werde. Franziska von Brambilla widersetze sich erfolgreich sowohl der Überstellung in das Ursulinenkloster wie auch dem Ausgangsverbot. Sie erklärte sich unter der Bedingung, „daß ihr die 600 gulden alimenten, so ihr vom obersthofmarschal [zu]gesprochen worden, abgereicht werden”, bereit, im Kloster St. Laurenz zu bleiben,

"aber den ausgang lasse sie sich nicht verbieten, es sey auch keine ursache darzu vorhanden und dieses verboth stünde weder in den consistorial noch in der nunciatursentenz, vielmehr sey ihr dieser ausgang unterm 19. Oktober 1780 zugestanden worden." (DAW WP 160_202-203)

Die Konsistorialräte lehnten die Klage des Ehemannes ab und bestimmten, dass Franziska von Brambilla weiterhin „im kloster zu St. Laurenz in kost und wohnung“ verbleiben durfte und sie mit „vorwissen der frau oberin auszugehen und ihren anverwandten besuche abzustatten“ berechtigt sei. (DAW WP 160_203)

2. Appellationsverfahren (B)

gegen ein Urteil im Annullierungsverfahren

Weitere sechs der im Quellenkorpus enthaltenen Appellationsverfahren verfolgten das Ziel, die Annullierung der Ehe in der zweiten Instanz durchzusetzen. Auch in diesen Appellationsverfahren waren die Urteile in ihrer überwiegenden Mehrheit (5 von 6) erst im Beweisverfahren gefällt worden. Alle sechs Urteile bzw. Endurteile hatten die beantragte Annullierung der Ehe abgelehnt und die Eheteile zur Cohabitierung verurteilt.

Aus einer Geschlechterperspektive ergibt sich ein ähnliches Bild wie bei den oben skizzierten Appellationsverfahren. Nachdem sie nach meist jahrelangen Beweisverfahren die eheliche Cohabitierung wieder aufnehmen sollten, versuchten vier Ehefrauen und ein Ehemann die Annullierung der Ehe in der zweiten Instanz durchzusetzen. Das sechste Verfahren ist insofern anders gelagert, als der Vater der minderjährigen Ehefrau gegen die Entscheidung der Konsistorialräte, die Ehe seiner minderjährigen Tochter nicht zu annullieren, das Rechtsmittel der Appellation ergriffen hatte.

Im Fall von Maria Tantlerin, geborene Premin, Anna Maria von Zollikofer, geborene Voglin und Helena Hochenauerin hatten die Konsistorialräte in erster Instanz entschieden, dass es ihnen nicht gelungen war, den Beweis für die behauptete Impotenz der Ehemänner zu erbringen. Maria Premin und Balthasar Tantler waren erst kurz verheiratet, als Maria im Jänner 1656 wegen Impotenz die Ungültigkeitserklärung der Ehe verlangte. Wie in solchen Fällen üblich, entschieden die Konsistorialräte im Beweisverfahren, dass

„dass die Parteien zur Vollendung des dreijährigen Zusammenlebens zu verhalten sind.“ (DAW WP 20_119, Original Latein, Übersetzung Johann Weißensteiner)

Maria appellierte gegen das Urteil. Unwahrscheinlich ist, dass die Nuntiatur anders entschieden hätte. Wir wissen es allerdings nicht, da die Informationen zum Appelationsverfahren nach eineinalb Monaten in den Konsistorialprotokollen abbrechen.

Anna Maria von Zollikofer hatte erstmals 1662 die Annullierung ihrer Ehe wegen Impotenz verlangt und 1665 das Beweisverfahren verloren. Wilhelm von Zollikofer hatte zwar ebenfalls kein Interesse an der Cohabitierung, wollte aber aus vermögensrechtlichen Überlegungen keine Annullierung, sondern eine Scheidung der Ehe. Im von ihm 1665 beantragten Scheidungsverfahren wurde Anna Maria von Zollikofer erneut ein Beweisverfahren zur Annullierung der Ehe aufgetragen. Am 14. Mai 1668, fast drei Jahre später, entschieden die Konsistorialräte neuerlich, dass „die Klägerin die Impotenz des Beklagten rechtlich nicht bewiesen hat“. (WP 24_681). Anna Maria ergriff gegen das Urteil das Rechtsmittel der Appellation. Wie wir aus einem Eintrag in den Konsistorialprotokollen erfahren, schlossen sie und Wilhelm einen Vergleich. Bei der Tagsatzung vom 5. Juli 1669 teilte ihr Anwalt mit, dass Anna Maria das Appellationsverfahren verlassen habe und es daher auch nicht mehr nötig sei, die bereits collationierten Akten an die Nuntiatur zu übersenden:

„sein principalin als appellantin sich der appellation begeben, dahero die acta weitters ad nuntiaturam zueschickhen unnöttig.“ (DAW WP 24_992)

Helena Hochenauerin war 1751 von ihrem Ehemann wegen eigenmächtiger Trennung geklagt worden. Mit dem Argument, dass ihr Ehemann impotent wäre, hatte sie die Annullierung der Ehe verlangt. Auch ihr hatten die Konsistorialräte aufgetragen, Beweise für „die angebende impotentiam perpetuam absolutam [vollkommene dauerhafte Zeugungsunfähigkeit] des klägers“ zu erbringen. Im Februar 1754 entschieden die Konsistorialräte, dass es ihr nicht gelungen war, die geforderten Beweise zu erbringen und verurteilen sie zum Zusammenleben. Dass Helena auch das Appellationsverfahren verlor, erfahren wir aus einem Eintrag vom 19. Dezember 1755. Sich sowohl auf das Urteil des Konsistoirums wie auch das Urteil der Nuntiatur berufend, beklagte Joseph Hochenauer bzw. sein Anwalt Dr. Appelt, dass Helena die Cohabitierung weiterhin verweigere und forderte „die ehelige cohabitirung oder die vernehmung der censuren.“ (DAW WP 143_102-103)

Die vierte Ehefrau, welche die Annullierung der Ehe auf dem Rechtswege der Appellation durchsetzen wollte, war Rosina Eckhardtin, geborene von Ranzau. Sie hatte 1663 ihren Annullierungsantrag vor der ersten Instanz, dem Wiener Konsistorium, damit begründet, dass Christoph Eckhardt zum Zeitpunkt der Trauung noch Soldat war. Christoph Eckhardt legte im Beweisverfahren eine Bestätigung seiner Entlassung aus dem Militär vor, worauf das Konsistorium die Ehe für gültig erklärte. Rosina Eckhardtin ergriff gegen das Endurteil die Appellation, in welcher sie vor allem damit argumentierte, dass das Datum des Entlassungszeugnisses aus dem Militär „radiert“, also gefälscht war. Nach dreijährigem Prozessieren übergab das Wiener Konsistorium am 22. April 1667 den Apostelbrief, also die collationierten Akten des Appellationsverfahres der Nuntiatur. Das Urteil ist nicht überliefert und es finden sich auch keine weiteren Einträge zu dem Ehepaar in den Konsistorialprotokollen.

Alexander Julius Torquati, der einzige Ehemann des Quellensamples, der die Annullierung der Ehe im Appellationsverfahren durchsetzen wollte, war 1677 von Agnes Marianna, geborene Lobniskin,  wegen eigenmächtiger Trennung geklagt worden. Er hatte 1678 das Beweisverfahren verloren, in welchem ihm der Beweis aufgetragen wurde, dass seine Ehefrau zum Zeitpunkt der Eheschließung noch in einer gültigen Ehe gelebt hatte. Auch in seinem Fall ist weder das Urteil des Appellationsverfahrens überliefert, noch können wir dieses aus anderen Verfahren rekonstruieren.

Außergewöhnlich ist das letzte Fallbeispiel, in dem die Appellation nicht von einem Eheteil, sondern vom Vater der Ehefrau geführt wurde, der die Gültigkeit der Ehe seiner minderjährigen Tochter beeinspruchte. Augustin Böck, Doktor beider Rechte und approbierter Advokat am Wiener Konsistorium hatte im Mai 1775 vom Wiener Konsistorium die Annullierung der Ehe seiner Tochter gefordert. Der Bräutigam Alois Herzog hätte sich, so Augustin Böck,

"zu Hernals die copulation mit des klägers minderjährigen tochter Barbara Bökin erschlichen“. (DAW WP 156_363-366)

Neben der „Entführung” seiner Tochter argumentierte Augustin Böck vor allem mit der falschen Pfarre, da der Bräutigam „in die Schottenpfarr, die braut aber in die Klosterneuburger pfarr gehörig“ sei. Die Pfarre Hernals wäre daher weder über die Braut noch über den Bräutigam zuständig.

Bemerkenswerterweise entschieden die Konsistorialräte mehrheitlich, der Klage nicht stattzugeben. Anfang September 1775 erklärten sie die Ehe für gültig und trugen dem Vater auf, das Ehepaar nicht weiter zu behindern:

"daher sei die geschlossene Ehe gültig und der gegenwärtige Herr als Kläger namens seiner genannten Tochter dazu verhalten, sich jeder Behinderung des ruhigen und friedlichen Zusammenlebens seiner Tochter Maria Barbara Bökin mit dem genannten Aloys Herzog zu enthalten.“ (DAW WP 156_457-458Original Latein, Übersetzung JW)

Anton Böck setzte die Annullierung der Ehe seiner minderjährigen Tochter im Appellationsverfahren durch. Nachdem im Appellationsverfahren die Ehe einstimmig für ungültig erklärt worden war, vermerkt das Wiener Konsistorialprotokoll für den 19. Dezember 1777,

„ist anheut dieser copulationsschein im rath ofentlich kassiert und zerrissen worden.“ DAW WP 158_259)

Zum Weiterlesen:

Susanne Hehenberger, Das fehlende fleischliche Band: Sexuelles Unvermögen als Scheidungsargument vor dem Passauer und Wiener Konsistorium (1560–1783), in: Frühneuzeit-Info 26 (2015), 77–94.

3. Exekutionsverfahren | Cohabitierung

Wie knapp über einhundert erhobene Exekutionsverfahren zur “Vollziehung der Cohabitierung” deutlich machen, war es in allen untersuchten Zeitsegmenten nicht selbstverständlich, dass Eheteile, die vom Konsistorium zum Zusammenleben verurteilt worden waren, diesem Urteil auch nachkamen. 50 der erhobenen Verfahren zur Durchsetzung des Cohabitierungsurteils wurden von Männern, 51 von Frauen beantragt. Das Geschlecht war offenbar weder für die Entscheidung, das Urteil nicht zu befolgen, noch für die Entscheidung, das Cohabitierungsurteil gerichtlich exekutieren zu lassen, statistisch relevant.

Kam die Ehefrau bzw. der Ehemann den ersten Aufforderungen der Konsistorialräte zur “Vollziehung des Urteils” innerhalb einer Frist von zuerst acht, danach meist drei Tagen nicht nach, so stand es der klagenden Ehepartei offen, kirchliche Zwangsmittel zur Durchsetzung des Cohabitationsurteils zu fordern. Diese reichten vom Ausschluss vom Gottesdienst bis hin zum Kirchenarrest. Die Anträge auf Kirchenarrest genehmigte das Konsistorium in aller Regel nicht sofort, sondern erst nach mehreren Zwischenurteilen, die die Verhaftung androhten.

Entschied das Konsistorium, dem Antrag auf Verhaftung statt zu geben, und war der Eheteil nicht ohnehin bei einer Tagsatzung vor Ort, so hatte der Gerichtsdiener Sorge zu tragen, dass der Eheteil den Kirchenarrest auch antrat. Widersetzte dieser sich seiner Verhaftung, so musste das Konsistorium – neuerlich auf Antrag der klagenden Ehepartei – die weltliche Obrigkeit um Assistenz ersuchen. War der Aufenthaltsort des Eheteils unbekannt, so konnte die klagende Ehepartei die Suche mittels “Edikt”, wie öffentliche Aushänge genannt wurden, verlangen.

Der verhaftete Eheteil blieb so lange im Konsistorialarrest, bis er oder sie sich zur Cohabitierung bereit erklärte. Diese Bereitschaft konnte durch verschärfte Haftbedingungen – bei Wasser und Brot und / oder Lichtentzug – “erhöht” werden.

Katharina und Franz Vogl*in

In den Kirchenarrest nahmen die Wiener Konsistorialräte etwa Katharina Voglin. Bei der Tagsatzung vom 9. September 1774 hatte Franz Vogl erneut die Arretierung seiner Ehefrau gefordert. Katharina Voglin hatte sowohl die Cohabitierungsanweisung innerhalb von 8 Tagen als auch jene innerhalb von 3 Tagen ignoriert, war allerdings zur mündlichen Verhandlung erschienen. Nachdem sie sich auch bei der Tagsatzung weigerte, dass eheliche Leben wiederaufzunehmen, entschieden die Konsistorialräte Katharina Voglin so lange einzusperren, bis sie sich bereit erklärte, dem Urteil Vollzug zu leisten:

"in consistorial arrest alsogleich verschafet und bey fernerer fortsezung ihrer halstärrigkeit noch empfindlicher bis zum vollzug der aufgetragenen cohabitirung gestraft und angehalten werden".

Nach drei Tagen ließen die Konsistorialräte Katharina Voglin aus dem Arrest holen und ermahnten sie „mehrfach zur Cohabitierung“. Katharina Voglin gab ihren Widerstand auf und erklärte sich unter der Voraussetzung zur Cohabitierung bereit, dass die Konsistorialräte ihrem Ehemann verbieten, “ihr ersparrtes” zu verlangen. Mit der Auflage, gemeinsam mit ihrem Ehemann in vier Tagen zu einer Tagsatzung zu erscheinen, wurde Katharina Voglin am 12. September 1774 aus dem Konsistorialarrest entlassen.

Bei der Tagsatzung am 16. September 1774 stellte Katharina Voglin bzw. ihr Anwalt folgende Bedingungen für das Zusammenleben, welche im Konsistorialprotokollbuch vermerkt wurden: erstens, dass ihr Ehemann sie nicht mehr schlage, zweitens, dass er ihr und dem Kind den Unterhalt verschaffe, drittens, dass er ihre Mietschulden bezahle und ihr versetztes Bett auslöse und viertens, dass sie ihre Ersparnisse nicht in die Ehe einbringen müsse.

Am 16. Jänner 1775, vier Monate nach der Vereinbarung, stand das Ehepaar erneut vor Gericht. Franz Vogl hatte neuerlich die Verhaftung seiner Ehefrau beantragt, da sie nicht mit ihm lebe. Katharina Voglin entgegnete, dass er weder die schuldige Miete bezahlt noch das Bett ausgelöst habe. Die Konsistorialräte wiesen den Ehemann an, beide Vereinbarungen zu erfüllen und behielten ihn statt der Ehefrau “wegen seines bösen mauls” einen Tag lang im Kirchenarrest.

4. Exekutionsverfahren | Ehelicher Unterhalt

Wie bereits im Fallbeispiel Katharina und Franz Vogl*in deutlich wurde, trugen die Konsistorialräte in einigen wenigen Fällen den Ehemänner die Unterhaltszahlung während der Ehe auf.  Verweigerte der Ehemann den Vollzug des Cohabitierungsurteils und die Bezahlung eines Unterhalts für die Ehefrau und allfällige Kinder, so konnte, wie das nächste Fallbeispiel zeigt, auch nur der eheliche Unterhalt exekutiert werden. Im erhobenen Quellenkorpus sind  einige wenige Exekutionsanträge zur Zwangsvollstreckung des Unterhalts bei aufrechter Ehe enthalten.

So klagte etwa Anna Barbara Grevin die rückständigen Unterhaltszahlungen ihres Ehemannes immer wieder beim Konsistorium ein, bat zum Beispiel am 11. Februar 1675 um die Verhaftung ihres Ehemannes, welche die Wiener Konsistorialräte auch genehmigten, sollte er den Alimentationsrückstand nicht binnen 24 Stunden nach Überreichung des Urteils bezahlen:

„Fiat, arrest wie gebetten, doch vorher zu allem überfluss zue erinnern, und wan die abstattung deß ruckhstandts bey anhändtigung dieser verordtnung inner 24 stundten nicht volgen würdt, ist der arrest ohne weitters anrueffen verwilligt.“

Bemerkenswert an dieser Anordnung ist, dass Anna Barbara und Friedrich nicht von Tisch und Bett getrennt oder geschieden waren, sondern der Ehemann sich seit drei Jahren weigerte, mit seiner Ehefrau und den Kindern zu leben. Im Juni 1672 hatte Anna Barbara erstmals die Cohabitierung gefordert. Wie lange sie und der Student der Medizin verheiratet waren, wissen wir nicht. Friedrich Greve verweigerte die Cohabitierung mit dem Argument,  dass beide Kinder nicht von ihm wären. Das Konsistorium erlaubte Friedrich  ein Beweisverfahren und sprach Anna Barbara einen wöchentlichen Unterhalt von einem Gulden für sich und die beiden Kinder zu. Bei der Tagsatzung am 21. November 1672 einigte sich das Ehepaar, dass sie künftig “ainig und fridlich hausen und einandtern wohl tractiren wöllen.“

Knapp sechs Wochen später, am 6. April 1653 später klagte Anna Barbara erneut, dass Friedrich ihr keinen Unterhalt zahle und forderte zudem, dass die Konsistorialräte ihm auftrugen, die „Traxlerin“ zu meiden, mit welcher sie ihren Ehemann offenbar verdächtigte, ein Verhältnis zu haben. Abweichend zur üblichen Vorgangsweise trugen die Konsistorialräte Friedrich Greve diesmal nicht das Zusammenleben oder die Aufnahme eines Beweisverfahren auf, sondern entschieden, dass er seiner Ehefrau und den beiden Kindern einen Gulden wöchentlichen Unterhalt bezahlen solle. Im Juli 1673 ersuchte Friedrich die Konsistorialräte um eine

„aufflag an sein weib, daß sie ihm mit seinen khindern in seine wohnung nachgehe“, im Dezember 1673 verlangte er die „völlige schaidtung.“

Beide Ansuchen wurden von den Konsistorialräten abgelehnt.

Nachdem er den Unterhalt weiterhin nicht oder nur teilweise bezahlte, verlangte Anna Barbara die Exekution des Unterhalts und immer wieder, wie oben zitiert, auch dessen Arretierung. Leider findet sich an keiner Stelle der immer nur sehr knappen Protokolleinträge ein Hinweis darauf, wo und wovon Anna Barbara sich und ihre Kinder ernährte.

Aus einem Eintrag vom 5. Juli 1675 lernen wir zum einen, dass Friedrich sie misshandelte, wenn sie den rückständigen Unterhalt einforderte. Zum anderen erfahren wir, dass er Anna Barbara  im Februar 1675 nur unter der Bedingung Geld für sie und die Kinder überreichte, dass sie einen außergerichtlichen Vergleich unterschrieben, in welchem sie zustimmte, künftig nur mehr zwei statt der gerichtlich vereinbarten drei Gulden monatlich zu erhalten. Obwohl Anna Barbara bei der Tagsatzung am 5. Juli 1675 argumentierte, dass sie den schriftlichen Vergleich vom Februar 1675 nur aus Not unterschrieben hatte, ließ sie sich beim Wiener Konsistorium auf einen neuen, nun gerichtlich ratifizierten Vergleich ein, der vorsah, dass der Ehemann ihr die schuldigen 3 Gulden innerhalb von drei Tagen bezahle und er so lange wie er den Unterhalt zum vereinbarten Termin zahle, künftig nur zwei Gulden monatlich bezahlen musste.

Andrea Griesebner, July 2018
Letztes Update: Andrea Griesebner, Jänner 2021.

Weiter: Folgeverfahren
Zitation: Andrea Griesebner, Appellationen und Exekutionen » Einstieg » Eheverfahren » Kirchliche Gerichtsbarkeit (1558–1783), in: Webportal. Ehen vor Gericht 3.0, 2024, <http://ehenvorgericht.univie.ac.at/?page_id=3172>. [Zugriffsdatum: 2024-11-28]