Konsistorien

1. Konsistorium der Diözese Wien
2. Konsistorium des unteren Offizialats der Diözese Passau

Die heute als Diözesangerichte bezeichneten geistlichen Gerichte wurden im Untersuchungsgebiet Konsistorien genannt. Jedes Bistum bzw. jede Diözese verfügt bis heute über ein Kirchengericht, welches vom Offizial bzw. Generalvikar geleitet wird. Im Untersuchungszeitraum gehörten den Konsistorien sowohl geistliche als auch weltliche Räte an, die unter dem Vorsitz von und im Namen des Offizials und Konsistoriums Recht sprachen.

Die geistlichen Gerichte entschieden beispielsweise darüber, ob Eheversprechen rechtsgültig waren oder eine eines Eheversprechens beklagte Person eine andere Ehe eingehen durfte. Sie erteilten oder verweigerten Personen Ehedispense, die aufgrund ihrer verwandtschaftlichen Beziehung, Konfessionsverschiedenheit oder auch wegen eines vorangegangenen Ehebruchs nach den Vorschriften des kanonischen Rechts nicht heiraten durften. Darüber hinaus bestimmten sie, ob Ehen annulliert bzw. als nichtig erklärt wurden und gewährten oder verweigerten Ehefrauen bzw. Ehemännern eine Trennung oder Scheidung von Tisch und Bett.

Seit der Mitte des 18. Jahrhunderts mussten die Konsistorien bei allen Annullierungsverfahren einen Defensor Matrimonii, einen Ehebandsverteidiger beiziehen. Das Amt des Defensor Matrimonii war von Papst Benedict XIV. mit der Constitution (Bulle) Deimiseratione vom 3. November 1741 eingeführt worden, um Annullierungen zu erschweren.

1. KONSISTORIUM DER DIÖZESE WIEN

Für Ehepaare mit Wohnsitz in der Wiener (Erz-)Diözese war das Wiener Konsistorium in der Wollzeile im heutigen 1. Bezirk zuständig. Das Jurisdiktionsgebiet der Diözese, ab 1722 Erzdiözese Wien, war bis 1729 auf die Stadt Wien, die Vorstädte, die Vororte und einige Dörfer und Märkte des Umlandes begrenzt. Die Grenze zwischen dem Unteren Offizialat der Diözese Passau und der Diözese Wien verschob sich 1729, als die Diözese Passau den überwiegenden Teil seiner Pfarren im Viertel unter dem Wienerwald an das Wiener Erzbistum abtreten musste.

Joseph Haas, Tabula Geographica totius dioecesis Pataviensis in decanatus divisa et jussu Celsissimi ac Reverendisimi Domini Domini Josephi Dominici S.R.J. Principis et Episcopi Patav. Comitis de Lamberg in lucem data 1723. Diözesanarchiv Wien, Foto: Bildausschnitt: Diözese Wien, Andrea Griesebner.

2. KONSISTORIUM DES UNTEREN OFFIZIALATS DER DIÖZESE PASSAU

Die Diözese Passau war seit dem 14. Jahrhundert in zwei Verwaltungseinheiten aufgeteilt. Der Ostteil der Diözese wurde von einem eigenen Offizial verwaltet, der  alle bischöflichen Funktionen einschließlich der Gerichtsbarkeit ausübte. Viele der Pfarren des Erzherzogtums Österreich unter der Enns – von der Ybbs im Westen bis zur Piesting im Süden – unterstanden dem als Unteres Offizialat bezeichneten Teil der Diözese Passau.

Joseph Haas, Tabula Geographica totius dioecesis Pataviensis in decanatus divisa et jussu Celsissimi ac Reverendisimi Domini Domini Josephi Dominici S.R.J. Principis et Episcopi Patav. Comitis de Lamberg in lucem data 1723. Digitalisat: Archiv des Bistums Passau. Linie zur Markierung der Grenze: Andrea Griesebner

Bis zu den Kirchenreformen Josephs II. hatte der Offizial seinen Amtssitz in Wien, konkret im Passauer Hof bei unserer lieben Frauen auf der Stiegen (heute Maria am Gestade). Das Passauer Konsistorium des Unteren Offizialats war für alle Ehepaare zuständig, deren Wohnpfarre zum Unteren Offizialat der Diözese Passau gehörte.

GERICHTSNUTZUNG

In vielen Scheidungsprozessen standen Ehepaare nicht zum ersten Mal vor Gericht. Entweder hatte eine Partei bereits zuvor die Anordnung der Cohabitierung des getrennt lebenden Eheteils eingeklagt oder das Konsistorium zum Aushandeln der Bedingungen des Zusammenlebens genutzt. Abgelehnten Klagebegehren folgten zumeist neue Rechtsstreitigkeiten.

Auch Ehepaare, die mit konsistorialer Genehmigung üblicherweise ein bis drei Jahre von Tisch und Bett getrennt leben durften, sind nach dem Ende dieser „Toleranzzeit“ häufig wieder in den Konsistorialprotokollen erwähnt: sei es, weil ein Teil die Wiederaufnahme des Zusammenlebens einklagte oder die Gegenpartei einen Antrag auf Verlängerung der Toleranzzeit stellte.

Vom Konsistorium wurden – auch bei zeitlich befristeten Trennungen – in Zusatzverfahren manchmal zudem die Trennungsfolgen wie Unterhaltsregelungen, die Vermögensaufteilung oder auch die Obsorge der Kinder geregelt.

Hielt sich ein Eheteil nicht an das Urteil, konnte das Konsistorium darüber hinaus für die Exekutionsverfahren zum Vollzug des Urteils genützt werden.

Andrea Griesebner, Juli 2016
Letztes Update: Dezember 2020

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Zitation: Andrea Griesebner, Konsistorien » Einstieg » Datenerhebung » Kirchliche Gerichte (1558–1783), in: Webportal. Ehen vor Gericht 3.0, 2024, <http://ehenvorgericht.univie.ac.at/?page_id=10500>. [Zugriffsdatum: 2024-11-21]