Normen

1. Eherecht
2. Verfahrensrecht
3. Beweisverfahren

1. EHERECHT

Die mittelalterliche Kirche vertrat die Ansicht, dass Ehepaare durch ein sakramentales Eheband verbunden sind, welches nur durch den Tod eines Eheteils gelöst oder durch die kirchengerichtliche Nichtigkeitserklärung bzw. Annullierung der Ehe für null und nichtig erklärt werden konnte. Das Institut der Scheidung bzw. Trennung von Tisch und Bett sollte zerstrittenen EhepartnerInnen eine Alternative zur Ehescheidung nach römischem Recht bieten, ohne das Sakrament in Frage zu stellen.

Reformatoren wie Martin Luther, Philipp Melanchthon, Ulrich Zwingli oder auch Johannes Calvin schufen durch ihre Ablehnung des Ehesakraments zwar die theologische Voraussetzung für die Ehescheidung mit Wiederverheiratungsoption, hielten gleichzeitig aber am Institut der Scheidung von Tisch und Bett als Option für all jene Ehepaare fest, welche die eng definierten Voraussetzungen für die Scheidung des Ehebandes nicht erfüllten.

KANONES ÜBER DAS SAKRAMENT DER EHE (1563)

Als Antwort auf reformatorische Konzeptionen der Ehe und der Ehescheidung verabschiedete das Konzil von Trient am 11. November 1563 insgesamt 12 Kanones über das Sakrament der Ehe, welche auch als Dekret Tametsi bezeichnet werden. Nach der Darlegung der Ehelehre definierten die Kanones, welche Auffassungen mit Kirchenbann zu belegen waren. Darunter auch die Ansichten, dass das Band der Ehe gelöst werden könne:

„wegen Häresie, Schwierigkeiten im Zusammenleben oder vorsätzlicher Abwesenheit vom Gatten (Kan. 5) und „wegen Ehebruchs eines der beiden Gatten“ (Kan. 7).

Die Kanones bestätigten dagegen das Institut der Scheidung bzw. Trennung von Tisch und Bett. Welche Gründe bzw. Bedingungen eine befristete Trennung oder eine unbefristete Scheidung von Tisch und Bett rechtfertigen, wurde allerdings nicht ausgeführt, sondern nur die Lehrmeinung mit Kirchenbann belegt, welche behauptet,

„die Kirche irre, wenn sie erklärt, eine Trennung zwischen den Gatten in bezug auf Bett bzw. in Bezug auf Zusammenwohnen, auf bestimmte oder unbestimmte Zeit, sei aus vielen Gründen möglich." (Kan. 8).

Abgesehen vom „feierlichen Ordensgelübde eines der beiden Gatten“ und dies nur unter der Voraussetzung, dass die Ehe noch nicht vollzogen worden war (Kan. 6), enthalten die Kanones keine weiteren Scheidungs- bzw. Trennungsgründe. Damit kam den Kanonisten, also den Lehrern des Kirchenrechts, große Bedeutung zu. Strenge Auslegungen des kanonischen Rechs sahen vor, dass eine lebenslängliche Scheidung von Tisch und Bett (Divortium perpetuum) nur aufgrund eines bewiesenen Ehebruchs möglich sei, und dies auch nur dann, wenn der bzw. die unschuldige Ehepartner*in dem bzw. der schuldigen Ehepartner*in weder verziehen noch die ehelichen Pflichten wieder aufgenommen und sich selbst keines Ehebruchs schuldig gemacht hatte.

So vertrat beispielsweise der Kanonist Franz Xaver Zech in seiner Auslegung des kanonischens Rechts aus dem Jahr 1758 die Ansicht, dass nur der Ehebruch eine unbefristete Scheidung von Tisch und Bett erlaube. Als Gründe für eine zeitlich befristete Trennung von Tisch und Bett (Separationis temporale) nannte er:

Adulterium spirituale - Geistiger Ehebruch, Häresie
Periculum animae - Gefahr für die Seele
Periculum corporis - Gefahr für den Leib
Saevitia aut furor mariti - Gewalt oder Raserei des Gatten
Molesta cohabitatio - unerträgliches Zusammenleben

Die gerichtliche Praxis zeigt, dass die Konsistorien nur sehr selten eine unbefristete Scheidung von Tisch und Bett gewährten, sie auch im Falle eines bewiesenen oder gestandenen Ehebruchs  oft nur eine befristete Tennung von Tisch und Bett erlaubten. Umgekehrt sind aber auch Urteile überliefert, in denen sich die Konsistorien für eine unbefristete Scheidung von Tisch und Bett entschieden, obwohl im Eheverfahren der Ehebruch kein Thema war.

2. VERFAHRENSRECHT

Den Eheverfahren vor den Konsistorialgerichten lag das Akkusationsprinzip des Zivilprozesses zugrunde. Ein Eheverfahren setzte eine förmliche Klage voraus. Klageberechtigt waren nur die Eheleute, nicht aber deren (Schwieger-)Eltern oder der Pfarrer.

Ehepaare, die vom Pfarrer angezeigt worden waren, weil sie sich „eigenmächtig getrennt“ hatten oder „uneinig lebten“, zitierte das Konsistorium meist ex officio zu einer Tagsatzung. Reichte in der Folge kein Eheteil eine Klage ein, so konnte das Konsistorium das Ehepaar nur zur „friedlichen Cohabitierung“, also zum ehe­lichen Zusammenleben verurteilen. Die Urteile enthielten in aller Regel aber „Cohabitierungsauflagen“, also Anweisungen, was ein Eheteil künftig zu tun oder zu unterlassen hatte.

Abgesehen von einigen wenigen nur mündlich geführten Eheverfahren vor allem aus dem 16. Jahrhundert, setzte die Eröffnung eines Eheverfahrens zudem voraus, dass die schriftliche Klageschrift von einem Anwalt unterschrieben war. Die Klageschrift musste zu einem der beiden wöchentlich stattfindenden Termine in der Kanzlei des zuständigen Konsistoriums eingereicht werden. In der Klageschrift hatte die klagende Partei ihre Argumente vorzubringen, allfällige Beweise beizulegen und zur Verhandlung des Ehekonflikts eine Tagsatzung zu beantragen.

Akzeptierte das Konsistorium die Klageschrift, so stelle die Kanzlei in aller Regel eine Ladung für eine mündliche Verhandlung aus, welche die klagende Partei der beklagten Partei zu übermitteln hatte. In seltenen Fällen forderte das Konsistorium von der beklagten Partei einen Bericht ein. In diesem Fall wurden die weiteren Schritte des Eheverfahrens schriftlich geführt.

Erhielt die beklagte Partei eine Ladung zu einem Gerichtstermin, so stand es ihr offen, ihre Argumente entweder bei der mündlichen Verhandlung darzulegen, oder aber vor dem Gerichtstermin eine „Exceptionsschrift“ einzureichen, gegebenenfalls auch eine Gegenklage zu erheben. Auch in diesen Fällen wurde das Verfahren in der Folge schriftlich geführt. Die klagende Partei konnte innerhalb von 14 Tagen eine „Replik“ auf die „Exceptionsschrift“ einreichen. Für ihre Antwort, „Duplik“ genannt, standen der beklagten Partei ebenfalls 14 Tage zu. Im Vorfeld der mündlichen Verhandlung konnten – jeweils mit unterschiedlichen Beilagen versehen – bis zu sechs Hauptschriften gewechselt werden:

1) Klage (Klagelibell/Memorial) der klagenden Partei
2) Exception der beklagten Partei
3) Replik der klagenden Partei
4) Duplik der beklagten Partei
5) Schluss der klagenden Partei
6) Gegenschluss der beklagten Partei

ANWALTSPFLICHT

Wurde das Verfahren schriftlich geführt, so mussten beide Parteien anwaltlich vertreten und die Hauptschriften immer von einem Anwalt unterschrieben sein. Die Ehepaare konnten den Anwalt nicht gänzlich frei wählen, sondern hatten einen Anwalt zu bestellen, der beim Konsistorium approbiert war. Konnte sich eine Partei den Anwalt nicht leisten, so hatte sie das Recht, vom Konsistorium einen Anwalt zugeordnet zu bekommen.

Formale Voraussetzung, um beim Konsistorium als Anwalt zugelassen zu werden, war ein Universitätsabschluss in beiden Rechten, also weltliches (Zivil-)Recht und Kirchenrecht. Der Antrag auf Zulassung wurde vom Konsistorium überprüft. Vor der Aufnahme ihrer Tätigkeit mussten die Advokaten den Advokateneid vor dem Konsistorium schwören.

TAGSATZUNGEN

Die Ladung zur mündlichen Verhandlung wurde bis weit ins 18. Jahrhundert nicht vom Gericht zugestellt, sondern jene Partei, welche die Verhandlung beantragt und genehmigt bekommen hatte, musste dafür sorgen, dass der Gegner bzw. die Gegnerin über den Gerichtstermin verständigt wurde.

Blieb der beklagte Eheteil der Verhandlung fern und hatte auch keine „Exceptionsschrift“ eingereicht, so ordnete das Konsistorium nicht automatisch eine neue Tagsatzung an, sondern die klagende Ehepartei musste um eine Verschiebung der Tagsatzung ersuchen. Verweigerte die beklagte Ehepartei weiterhin ihr Erscheinen, so war es an der klagenden Partei, die Ausstellung eines „Compaßschreibens“, wie die Bitten um Amtshilfe genannt wurden, an die zuständige weltliche Obrigkeit zu beantragen. In aller Regel wurde das „Compaßschreiben“ nicht sofort bewilligt, sondern es bedurfte oft vieler Eingaben, bis das Konsistorium tatsächlich ein „Compaßschreiben an die Herrschaft“ bzw. an „die Nö. Regierung“ richtete.

Gelang es auch der weltlichen Obrigkeit nicht, die beklagte Partei zum Erscheinen vor dem Konsistorium zu bewegen, so konnte das Konsistorium in Abwesenheit des bzw. der Beklagten ein Urteil in conformitaet des petitio in contumaciam, d.h. gemäß des Interesses der klagenden Partei in Abwesenheit des/der Beklagten fällen. Eine andere Möglichkeit, von welcher das Konsistorium aber sehr selten Gebrauch machte, war die Androhung der Exkommunikation.

Die Tagsatzungen fanden an festgelegten Sitzungstagen, meist am Mittwoch und am Freitag, statt. Bei der mündlichen Verhandlung waren die Ehepaare in aller Regel mit den Anwälten anwesend, welche teilweise auch anstelle ihrer Klient*innen sprachen. Tagsatzungen, in welchen eine, manchmal auch beide Eheparteien mit den Eltern oder der Mutter bzw. dem Vater erschienen, deuten darauf hin, dass die Eheleute noch minderjährig, d.h. das 24. Lebensjahr noch nicht erreicht hatten. Überliefert sind zudem einige wenige Fälle, bei denen anstelle von kranken oder gebrechlichen Ehepartner*innen deren Kinder zur Tagsatzung erschienen.

Analog zum schriftlichen Verfahren hatten die Eheparteien bei mündlichen Verhandlungen jeweils zwei, selten drei Reden, in welchen sie ihre Argumente bzw. Gegenargumente vortragen konnten. In der ersten Rede (petitio) wiederholte die klagende Partei nochmals die Hauptargumente der Klageschrift. Danach war die beklagte Partei am Wort, brachte ihre Einrede (exceptio) vor. Die dritte Rede (Schluss) diente der klagenden Partei dazu, festzuhalten, welche Punkte der  Klage durch Atteste belegt oder vom Ehepartner/der Ehepartnerin in der „exceptio“ zugegeben worden waren. Zusatzlich dazu bot diese Rede auch die Möglichkeit, auf eventuelle Gegenanschuldigungen zu antworten. Das letzte Wort (Gegenschluss) hatte die beklagte Partei.

Ziel des Konsistoriums war es, dass Ehepaar zu versöhnen, es zu einer „friedlichen Cohabierung“ zu überreden. Verweigerte ein Eheteil einen Vergleich, so beschlossen die Räte entweder ein Urteil, oder aber verschoben die Tagsatzung auf den nächsten oder übernächsten Termin, weil „die Zeit für eine Versöhnung des Ehepaars nicht ausreichend war“. Erst wenn auch bei dieser Tagsatzung kein Vergleich erzielt werden konnte, fällte das Konsistorium das Urteil.

„COLLATIONIERUNG“ DER AKTEN

War das summarische Verfahren im Vorfeld auch schriftlich geführt worden, so mussten die im Laufe des Verfahrens eingereichten Schriften und Beilagen „collationiert“ werden. Bei einer eigenen „Collationierungstagsatzung“ wurde entschieden, welche der im Laufe des Verfahrens produzierten Texte einem Konsistorialrat zur Vorbereitung seines Urteilsvorschlages zu übergeben waren. Die gerichtlichen Erledigungen wurden abgeschrieben, vidimirt (beglaubigt) und gemeinsam mit den akzeptierten Schriften und Beilagen zu einem Bündel zusammen gelegt, mit Spagat gebunden und mit dem Petschaft (Stempel, Siegel) der Parteien bzw. deren Anwälten wie auch des Expeditors versehen.

ENTSCHEIDUNGEN DER KIRCHENGERICHTE

Das summarische Verfahren wurde entweder mit einem Vergleich des Ehepaares, mit einem Endurteil oder aber mit einem bedingten Endurteil abgeschlossen.

Hatte sich das Ehepaar bei der Tagsatzung auf eine Cohabitierung geeinigt, so hielt der Notar die Versöhnung bzw. den Vergleich fest. Ob diese Vergleiche rechtkräftig waren und daher in einem Exekutionsverfahren eingeklagt werden konnten, hing davon ab, ob sich ein Eheteil „die weiteren Rechte“ vorbehalten hatte und die Klage fortsetzen konnte, sollte sich die Gegenpartei nicht an den Vergleich halten.

Hielt das Konsistorium die Ermittlungen für ausreichend oder sah keine Veranlassung, einer oder auch beiden Eheparteien ein Beweisverfahren aufzutragen, so stand am Ende des summarischen Verfahrens das Endurteil.

Die Endurteile wurden rechtskräftigt, sofern keine Partei eine Appellation anmeldete oder diese vom Konsistorium abgelehnt worden war. Der Vollzug des Endurteils war von beiden Parteien in einem Exekutionsverfahren einklagbar. Wollte oder konnte eine Ehepartei das Urteil nicht vollziehen, so stand ihr nur offen, einen neuen Prozess anzustrengen, wozu sie allerdings neue Argumente vorbringen musste.

Ein bedingtes Endurteil fällte das Konsistorium dann, wenn es aufgrund des summarischen Verfahrens zu keiner Entscheidung gekommen war. Verbunden mit einem bedingten bzw. vorläufigen Endurteil war das Recht oder auch die Pflicht, bestimmte Argumente in einem weiteren Verfahrensabschnitt zu beweisen. Das Recht auf ein Beweisverfahren konnte das Konsistorium auch der beklagten Partei zugestehen, sofern diese die eheliche Cohabitierung verweigerte und aus der Sicht des Kirchengerichts gute, aber nicht ausreichend belegte Gründe dafür hatte. Dem anderen Eheteil wurde in der Regel das Recht auf Gegenweisung zugestanden.

Meldete der weisungsberechtigte Eheteil keine Weisung an oder war im Beweisverfahren säumig, so konnte die Gegenpartei den Vollzug des bedingten Endurteils verlangen. Stimmte das Konsistorium dem Antrag zu, so wurde aus dem bedingten Endurteil ein Endurteil, gegen welches die Appellation zulässig war.

In manchen Eheverfahren fällte das Konsistorium kein bedingtes Endurteil, sondern traf nur vorläufige Anordnungen, indem es etwa einem Eheteil einen abgesonderten Wohnort während des Beweisverfahrens erlaubte. Machte in diesen Fällen der weisungsberechtigte Eheteil keinen Gebrauch von seinem Weisungsrecht oder hatte durch Säumigkeit das Recht auf den Weisungsprozess verwirkt, so mussten zur Formulierung eines Endurteils die Akten „collationiert“ werden.

Die am 1. Mai 1781 in Kraft getretene Allgemeine Gerichtsordnung verpflichtete die Gerichte ihre Entscheidungen schriftlich zu begründen. Davor integrierten die Konsistorien ihre Entscheidungsgründe – wenn überhaupt – in das Urteil. Überschrieben mit „Motiva von der toleranz“ begründete das Wiener Konsistorium erstmals am 24. Mai 1782 explizit, warum es statt der von  Katharina Strohmayerin beantragtenScheidung von Tisch und Bett nur eine einjährige Toleranz genehmigt hatte.

Motiva von der toleranz: 1mo, weil sie weltliche streittigkeiten haben, 2do weil die gemüter derzeit zu sehr verbitter sind, 3tio weil er zur wohnung in Wien, sie aber zur wohnung in Banat derzeit nicht verhalten werden kann; 4to weil beede um toleranz bitten (DAW WP 160_408-411).

 

3. BEWEISVERFAHREN

Wurde beiden Parteien die Weisung aufgetragen, genehmigte das Kirchengericht den Weisungsprozess jenes Eheteils, der zuerst die Weisung angemeldet hatte. Die Person, welche den Weisungsprozess führte, wurde im Beweisverfahren, unabhängig davon, ob sie im summarischen Verfahren Kläger*in oder BeklagteR war, als Kläger*in bezeichnet. Der Terminus „Zeugenführer“ bzw. „Zeugenführerin“, wie die Allgemeinen Gerichtsordnung von 1781 die beweisführende Partei benannte, wurde von den Konsistorien in den letzten Monaten ihrer Zuständigkeit nicht übernommen.

Die Weisung war innerhalb von 14 Tagen nach der Erhebung der schriftlichen Ausfertigung des bedingten Endurteils bzw. der bedingten Anordnung anzumelden. Der beweisführenden Partei standen folgende Schritte zur Verfolgung einer ordentlichen Weisung zur Verfügung:

1. Einreichen von Behauptungssätzen, über welche die Gegenpartei befragt werden sollte

Hatte das Gericht die Behauptungssätze anerkannt, so mussten beide Eheparteien das Jurament de dicenda veritatis, den Wahrheitseid ablegen. Der klagende Teil schwor, dass die Behauptungen der Wahrheit entsprechen, die beklagte Ehepartei, dass sie wahrheitsgemäß auf die Behauptungssätze antworten werde. Erst danach wurde die beklagte Partei entweder sofort oder bei einem eigenen Gerichtstermin zu den Behauptungssätzen vernommen. Hatte die Gegenpartei ein Gegenweisungsrecht, so hatte sie die Möglichkeit, Gegenbehauptungssätze einzureichen, über welche, sofern das Gericht diese akzeptierte, die klagende Partei aussagen musste.

2. Einreichung von Weisartikeln, über welche Zeug*Innen vernommen werden sollten

Suchte der beweisführende Eheteil um die Einvernahme von Zeug*innen an, hatte dieser neben einer Liste an Zeug*innen auch Weisartikel einzureichen, über welche das Gericht die Zeug*innen vernehmen sollte. Erst nach zwei „Vorwissensverordnungen“ genehmigte das Gericht die Tagsatzung zur Einvernahme der Zeug*innen. Hintergrund dafür war, dass die Liste der Zeug*innen und die Weisartikel der Gegenpartei übermittelt werden musste, die ihrerseits das Recht hatte, Stellungnahmen zu den Zeug*innen abzugeben und Fragen an die Zeug*innen (Interrogatoria) einzureichen.

3. Ablegung des Juramentum litis decisivum (Haupt- oder Beweiseid)

EINVERNAHME DER ZEUG*INNEN

Für das Gericht war es nicht immer einfach, die Zeug*innen ausfindig zu machen. Als Zeug*innen häuslicher Gewalt hatten die Eheteile oft Dienstboten benannt, die nicht mehr bei ihnen angestellt waren und von denen sie häufig nicht wussten, bei wem diese zum Zeitpunkt des Eheverfahrens in Dienst waren. Weigerten sich die Zeug*innen, vor Gericht zu erscheinen, so musste auch hier das Konsistorium mittels „Compaßschreiben“ die weltliche Obrigkeit um Kooperation bitten.

Vor ihrer Einvernahme mussten die Zeug*innen einen Eid (Juramentum testium bzw. dicenda veritate) darüber ablegen, die Wahrheit auszusagen. Sie mussten vor Gott dem Allmächtigen schwören,

„daß ich in der sachen, derentwegen ich erfordert und zu einen zeügen vorgestellet worden, auf das jenige, was ich werde gefraget werde, die gründliche pur lautere wahrheit, so viel mir eigentlich, und gründlich bewust ist, aussagen und bekhennen wolle. Ich will nicht ansehen die persohnen, freundschaft, oder feindschaft, einigen nutzen, oder schaden, noch etwas anders, es habe namen, wie es wolle, sondern wie ich es am jüngsten tag vor gott zu verantworten weiß, auch will meine aussag niemanden offenbaren, bis dieselbe gerichtlich eröffnet wird. So wahr mir gott helf und sein heiliges evangelium“. (Eidbuch 9-10).

Die eigentliche Einvernahme über die Weisartikel und die von der Gegenpartei eingereichten Interrogatoria nahm ein vom Konsistorium bestimmtes Konsistorialmitglied vor.

Wollten die Eheparteien wissen, was die Zeug*innen ausgesagt hatten, so mussten sie die „Eröffnung und Erfolglassung“ der Zeugen*innenverhöre beantragen. Auch diese Anträge wurden vom Gericht erst nach mehreren „Vorwissensverordnungen“ genehmigt. Grund dafür war, dass nach der „Erfolglassung“ der Zeug*innenaussagen die Gegenpartei keine eigenen Zeug*innen mehr benennen durfte.

Waren die Behauptungssätze beantwortet und/oder die Zeug*innen einvernommen, so konnten im Beweisverfahren vier Hauptschriften ausgetauscht werden:

  1. Erste Probationsschrift (Beweisschrift) der beweisführenden Partei
  2. Erste Probationsimpugnationsschrift (Beweisanfechtungsschrift) der Gegenpartei
  3. Zweite Probationsschrift (Beweisschrift) der beweisführenden Partei
  4. Zweite Probationsimpugnationsschrift der Gegenpartei

Analog zum schriftlichen Verfahren wurde auch das Beweisverfahren mit der Collationierung der Akten geschlossen und die collationierten Akten einem Konsistorialmitglied zur Ausarbeitung eines Urteilvorschlages übergeben.

Bevor das Gericht eine Tagsatzung zur Publizierung des Urteils genehmigte, musste jene Partei, welche die Tagsatzung beantragte, die Gerichtskosten bezahlen. Die Höhe variierte nach Anzahl der Akten und der Kompliziertheit des Verfahrens. Erschien ein Eheteil nicht, so erging das Endurteil in contumaciam, in Abwesenheit des nicht erschienenen Eheteils. In aller Regel wurde der letzte Tag im Monat zur Verkündigung der Abschiede verwendet.

URTEILE NACH EINEM BEWEISVERFAHREN

Die Beweisverfahren waren nicht nur langwierig, sondern auch sehr kostenintensiv. Um das Verfahren abzukürzen, schlossen viele Ehepaare einen Vergleich, der vom Konsistorium ratifiziert werden musste. Ob diese Vergleiche rechtkräftig waren und daher in einem Exekutionsverfahren eingeklagt werden konnten, hing davon ab, ob sich ein Eheteil „die weiteren Rechte“ vorbehalten hatte, sprich das Beweisverfahren wieder aufnehmen konnte, sollte sich die Gegenpartei nicht an den Vergleich halten.

Die Urteile nach einem Beweis­ver­fah­ren wur­den meist als Abschied oder sen­ten­tia defi­ni­tiva bezeich­net. Gegen das Urteil stand beiden Eheteilen das Rechtsmittel der Appellation zur Verfügung.

Andrea Griesebner, 2016
Letztes Update: Andrea Griesebner, August 2020

Weiter: Methode
Zitation: Andrea Griesebner, Normen » Einstieg » Eheverfahren » Kirchliche Gerichtsbarkeit (1558–1783), in: Webportal. Ehen vor Gericht 3.0, 2024, <http://ehenvorgericht.univie.ac.at/?page_id=10200>. [Zugriffsdatum: 2024-04-19]