Beweisverfahren

1. Bedingte Endurteile
2. Antritt des Beweisverfahrens
3. Urteile nach dem Beweisverfahren

1. Bedingte Endurteile

Das Recht auf ein Beweisverfahren war in aller Regel an ein bedingtes Endurteil geknüpft, welches, sollte das Beweisverfahren entweder nicht angetreten oder abgebrochen werden, zum Urteil wurde. Stand am Beginn eines Beweisverfahrens hingegen eine vorläufige Anweisung, welche der klagenden Partei zugestand, während des Beweisverfahrens von Tisch und Bett getrennt leben zu dürfen, so gab es kein Urteil, welches beim Nichtantritt oder Abbruch des  Beweisverfahrens in Kraft trat. In diesem Fall wurde auf Antrag eines Eheteils das Urteil im summarischen Verfahren gefällt.
Wie unter Normen ausgeführt, berechtigte das bedingte Endurteil bzw. die vorläufige Anordnung die Klägerin bzw. den Kläger, bestimmte Vorwürfe in einem weiteren Verfahrensschritt zu beweisen oder zu entkräften. Der beklagte Eheteil erhielt das Recht auf Gegenweisung. In seltenen Fällen gestanden die Konsistorialräte auch der beklagten Ehepartei das Recht auf ein Beweisverfahren zu, sofern diese gute, aber nicht ausreichend bewiesene Gründe vorgebracht hatte, warum sie die eheliche Cohabitierung verweigerte.

Fallbeispiel: Franz Lackowizer | Barbara Lackowizerin, 1777

Am 30. Juni 1777 verhandelte das Wiener Konsistorium die zweite Scheidungsklage von Franz Lackowizer. Der Ehemann stützte seine Scheidungsklage vor allem auf Ehebruch. Seine Ehefrau habe vor wenigen Wochen ein Kind zur Welt gebracht, dessen Vater er nicht sein könne, da er ihr über 1 1/2 jahr nicht mehr beygewohnet hätte.“ Dem Vorwurf des Ehemannes, nicht der biologische Vater des Neugeborenen sein zu können, entgegnete Barbara Lackowizerin, dass ihr Ehemann sie in der fraglichen Zeit „einmal beschlafen“ habe. Barbara Lackowizerin fügte allerdings hinzu, nicht leugnen zu können, dass sie zu dieser Zeit „auch mit einem anderen zu thun gehabt“ habe.

Der Grund für ihren Ehebruch wäre allerdings ihr Ehemann, weil „er ihr nicht beygewohnet und selbst mit anderen umgezohen und die eheliche treue verlezet“ habe. Als Interesse von Barbara Lackowizerin notierte der Notar, dass sie „mit der scheidung zufrieden“, also einverstanden wäre. Obwohl beide Eheparteien die Scheidung von Tisch und Bett wollten und die Ehefrau einen Ehebruch gestanden hatte, entschieden sich die Konsistorialräte für ein bedingtes Endurteil, welches der beklagten Ehefrau ein Beweisverfahren ermöglichte:

dass der kläger von der beklagten tisch und beth geschieden seyn soll, die beklagte erweise dann, wie es sich zu recht gebühret, dass ihr der kläger zu dem bekanntlichen vergehen anlaß gegeben, oder sich des nämlichen verbrechens der verlezten ehelichen treue schuldig gemacht habe.

Tabelle 1: Bedingtes Endurteil | Klagende Ehepartei

Wie Tabelle 1 zeigt, schrieb die Mehrheit der bedingten Endurteile (54,3 %) die friedliche Cohabitierung vor. So etwa auch im von Anna Denkhin angestrengten Trennungsprozess vom 1. Juli 1667:

Die klägerin seye ihrem eheman cohnlichen (=ehelich) beyzuwohnen, und eins dass andere wie es der heylige ehestandt erfordert, gebührendt zu ehrn und zue leben schuldig. Dafern sie aber hier wider ein erheblich- und rechtmessige uhrsach zu haben vermaindt, stehet ihr die selbe gerichtlich vorzubringen, und wie sichs zu recht gebührt, zu erweisen bevohr, doch dem beklagten sein gegenweisung und all andere rechtliche behelff vorbehalten.

Wie Tabelle 1 ebenfalls zu entnehmen ist, gewährten 22,7  Prozent der bedingten Endurteile der klagenden Ehepartei, mehrheitlich waren dies Frauen, das Recht, während des Beweisverfahrens vom Ehemann getrennt zu leben. Vier der bedingten Endurteile, darunter das zitierte Endurteil in der Scheidungsklage von Franz Lackowizer, schieden die Ehe von Tisch und Bett.

Tabelle 2: Bedingtes Endurteil | Untersuchte Zeitsegmente

Wie Tabelle 2 deutlich macht, entschieden die Konsistorialräte in insgesamt 282 (16 %) aller untersuchten 1.760 Verfahren in der Hauptsache nicht im summarischen Verfahren, sondern verpflichteten bzw. berechtigten die Eheteile, bestimmte Vorwürfe in einem weiteren Verfahrensschritt zu beweisen oder zu entkräften. Wie Tabelle 2 ebenfalls zeigt, variierte der Anteil der bedingten Endurteile bzw. Anweisungen zwischen 5,2 und 29,6 Prozent. Auffallend ist, dass die Wiener Konsistorialräte in den untersuchten Zeitsegmenten in der Mitte des 17. und im frühen 18. Jahrhundert in rund einem Viertel der Verfahren in der Hauptsache die Möglichkeit zu einem Beweisverfahren eröffneten, während sie in der Mitte und im ausgehenden 18. Jahrhundert 91,6 bzw. 94,8 Prozent der Verfahren in der Hauptsache bereits im summarischen Verfahren entschieden.

Einen umgekehrten Trend zeigen die Entscheidungen der Konsistorialräte des Passauer Konsistoriums des unteren Offizialats. Während diese in der Mitte des 17. und am Beginn des 18. Jahrhunderts zwischen 83,3 und 88,1 Prozent der Verfahren in der Hauptsache bereits im summarischen Verfahren entschieden, verwiesen sie in der Mitte und im ausgehenden 18. Jahrhundert ein knappes Viertel der Eheteile auf ein Beweisverfahren.

Bemerkenswert ist, dass das Geschlecht der klagenden Ehepartei bei der Entscheidung der Konsistorialräte für bzw. gegen ein Beweisverfahren statistisch keine relevante Rolle spielte. In 201 (15,8 %) der 1.276 von Frauen und in 51 (10,5 %) der 484 von Männern angestrengten Verfahren in der Hauptsache ermöglichten die Kirchengerichte ein Beweisverfahren.

2. Antritt des Beweisverfahrens

Tabelle 3: Bedingtes Endurteil | Antritt des Beweisverfahrens

Wie aus Tabelle 3 ersichtlich wird, traten 43,3 Prozent  (122 von 282) der bedingten Endurteile in Kraft, weil kein Eheteil zeitgerecht ein Beweisverfahren angemeldet hatte. Der Anteil erhöht sich beträchtlich, wenn wir die Verfahren aus dem 16. Jahrhundert, in welchen die Konsistorialräte den Todesnachweis einforderten, nicht berücksichtigen. Wie Tabelle 3 ebenfalls verdeutlicht, nahm die Mehrheit der Eheparteien das meist langwierige und kostenintensive Beweisverfahren in Kauf, um eine Annullierung, Scheidung oder auch nur eine befristete Trennung von Tisch und Bett zu erreichen.

In zwei Fällen wurde das Beweisverfahren dazu genützt, um die Scheidung bzw. unbegrenzte Toleranz abzuwehren, einmal von der Ehefrau, einmal vom Ehemann.

Obwohl Barbara Lackowizerin gemäß zitiertem Protokolleintrag vom 30. Juni 1777 mit der Scheidung einverstanden war, machte sie von ihrem Weisungsrecht Gebrauch und klagte nun ihrerseits die Cohabitierung ein. Nur fünf Monate später, am 5. Dezember 1777 entschied das Konsistorium, dass sie den Beweis, dass ihr Ehemann ihr zum Ehebruch Anlass gab und er auch selbst untreu war, nicht erbracht hatte und erklärte das bedingte Endurteil zum Endurteil:

sey demnach der kläger (des summarischen Verfahrens) von tisch und beth der beklagten hiemit geschieden und mit ihr zu leben nicht gehalten, sondern ihm besonders und allein, jedoch ehrbar und eingezohen, und ohne sich weiters verehelichen zu dürfen, zu leben, bevorstehen soll.

Im zweiten Fall war es der Ehemann, welcher die Scheidung bzw. unbegrenzte Toleranz, welche das bedingte Endurteil der Ehefrau gewährte, im Beweisverfahren abzuwenden versuchte.

Fallbeispiel: Anna Maria Engsbergerin, verwitwete Lindnerin | Franz Engsberger, 1775

Anna Maria Engsbergerin, verwitwete Lindtnerin, beantragte wegen schwerer körperlicher Misshandlung, welche sie auch durch ärztliche Atteste belegen konnte, Anfang Jänner 1775 die Scheidung von ihrem Ehemann. Das Ehepaar hatte im Februar 1765 geheiratet, war zu diesem Zeitpunkt also knapp 10 Jahre verheiratet. Die Passauer Konsistorialräte gaben der Scheidungsklage der Ehefrau im bedingten Endurteil vom 29. März 1775 statt, sofern der Ehemann nicht beweisen könnte, dass er seiner Ehefrau die schweren Misshandlungen noch vor seiner Bestrafung durch die weltliche Gerichtsbarkeit und noch vor ihrer Aussöhnung zugefügt hatte.

Franz Engsberger gelang es offenbar in einem mehr als dreijährigen Verfahren nicht, die geforderten Beweise zu erbringen. Bei der Tagsatzung am 29. Mai 1778 erklärte er sich bereit, von seinem Weisungsrecht unter der Bedingung zurückzutreten, dass Anna Maria Engsbergerin ihm die Hälfte ihres Vermögens überlasse, was diese allerdings ablehnte. Rund drei Monate später, bei der Tagsatzung am 9. September verzichtete Franz Engsberger, nun allerdings ohne Bedingungen, auf sein Weisungsrecht und erklärte sich mit der Scheidung einverstanden. Das Konsistorium erklärte das bedingte Endurteil vom 29. März 1775 zum Endurteil, womit Anna Maria Engsbergerin nach einem vierjährigen Prozess von Tisch und Bett geschieden wurde.

Geben herr officialis und consistorium über die von beeden theillen vernohmenen nothdurften zum verlaß: Daß der klägerin von ihrem ehemann über die von ihme unterm 1. Juli dis jahrs [1778] überreichte und commissionaliter [9.9.1778] bestättigte erklehrung, wie daß er von der ihme durch verlaß de dato 29. März 1775 vorbehaltenen beweis gänzlichen abstehe, nunmehro abgesonderet zu leben, bevorstehen solle.

Tabelle 4: Klageinteresse im Beweisverfahren | Geschlecht

Wie Tabelle 4 deutlich macht, war das Geschlecht für die Frage, ob das Beweisverfahren (Weisung und Gegenweisung) angetreten wurde, ebenfalls keine statistisch relevante Kategorie. Während Frauen in 57,7 Prozent (116 von 201 potentiellen Verfahren, vgl. Tabelle 1: bedingte Endurteile) das langwierige und kostenintensive Beweisverfahren auch antraten, liegt der Anteil bei den Männern bei 54,3 Prozent (44 von 81 potentiellen Verfahren, vgl. Tabelle 1).

3. Urteile nach dem Beweisverfahren

Tabelle 5: Urteile nach einem Beweisverfahren| Beweisführende Ehepartei

Wie Tabelle 5 verdeutlicht, konnten wir von 42,5 Prozent der 160 angetretenen Beweisverfahren kein Urteil eruieren. Nicht immer ist der Grund dafür, dass der Abschied, wie das Urteil nach dem Beweisverfahren oft genannt wurde, in den Protokollbüchern nicht verzeichnet wurde. Ein Urteil fehlte auch, wenn sich das Ehepaar außergerichtlich geeinigt hatte oder wenn ein Eheteil verstorben war.
Statistisch auffallend ist, dass in der Hälfte der von Frauen geführten Beweisverfahren (56 von 116) kein Urteil überliefert ist, während bei den von Männern geführten Beweisverfahren nur in einem guten Viertel (27,3 Prozent) der Verfahren (12 von 44) das Urteil fehlt. Dies legt die Vermutung nahe, dass Frauen, vielleicht auch aus finanziellen Gründen, eher zu einer außergerichtlichen Einigung bereit waren. Tabelle 5 zeigt zudem, dass es den Eheteilen selbst nach langwierigen und kostspieligen Beweisverfahren nur selten gelang, eine befristete oder unbefristete Toleranz zu erhalten.

Tabelle 6: Urteil im BW | Klageinteresse

Tabelle 6 unterscheidet die Urteile nach dem Interesse jener Ehepartei, welche das Beweisverfahren führte. Differenzieren wir zusätzlich zwischen Frauen und Männern (Tabellen 6a und 6b), so wird deutlich, dass das Geschlecht für den Ausgang des Beweisverfahrens eine Rolle spielte.

Tabelle 6a: Urteil im BW | Klageinteresse | Frauen

Tabelle 6b: Urteil im BW | Klageinteresse | Männer

Während in den 18 von Ehefrauen angestrengten Beweisverfahren zur Annullierung der Ehe die Konsistorialräte nur vier Ehen (22,2 %) annullierten und eine Ehe von Tisch und Bett schieden (vgl. Tabelle 6a), annullierten sie in den interessensgleichen, von Männern angestrengten Beweisverfahren die Ehe in zwei von fünf (40 %) Fällen (vgl. Tabelle 6b). Diese Differenz ist allerdings insofern mit Vorbehalt zu interpretieren, da in sieben von Frauen angestrengten Annullierungsverfahren das Endurteil fehlt (vgl. Tabelle 6a).

Dass es den Ehemännern öfters gelang, ihre Interessen im Beweisverfahren durchzusetzen, zeigen aber auch die Trennungs- bzw. Scheidungsverfahren. Wie Tabelle 6b veranschaulicht, versuchten 36 Ehemänner im Beweisverfahren eine Scheidung bzw. Trennung zu erreichen. In sechs Fällen entschieden die Konsistorialräte auf eine unbefristete Toleranz und in sechs Verfahren auf eine befristete Toleranz (33,3 %).

In den 94 von Ehefrauen geführten Beweisverfahren zur Trennung oder Scheidung der Ehe entschieden die Konsistorialräte dagegen nur in acht Verfahren auf eine unbefristete und in weiteren acht Verfahren (17 %) auf eine befristete Toleranz (vgl. Tabelle 6a).

In vier Beweisverfahren galt das Klageinteresse der Ehefrauen der Cohabitierung. Zwei der Fälle entschieden die Konsistorialräte antragsgemäß (vgl. Tabelle 6a), in einem Verfahren ist das Urteil nicht überliefert. Im vierten Verfahren trat das bedingte Endurteil, welches dem Ehemann eine unbegrenzte Toleranz gewährte, in Kraft, da es Barbara Lackowizerin, wie oben ausgeführt, nicht gelungen war, die geforderten Beweise zu erbringen.

Bei den von Ehemännern angestrengten Beweisverfahren zur Cohabitierung waren zwei von drei erfolgreich (vgl. Tabelle 6b). Im dritten Fall trat das bedingte Endurteil, welches der Ehefrau eine unbefristete Toleranz zuerkannt hatte, in Kraft, weil Franz Engsberger, wie oben ausgeführt, nach dreieinhalb Jahren auf die Fortführung des Verfahrens verzichtet hatte.

Trotz der hohen Anzahl an nicht überlieferten Urteilen lässt sich vorsichtig die These formulieren, dass die Ehemänner in den Beweisverfahren eher Aussicht auf Erfolg hatten als die Ehefrauen.

Tabelle 7: Endurteile Gesamt | im Beweisverfahren

Tabelle 7 macht abschließend nochmals deutlich, wie schwierig es vor den Konsistorien war, eine Scheidung von Tisch und Bett oder eine Annullierung der Ehe zu erreichen. Während die erste Spalte nicht differenziert, ob das Urteil bereits im summarischen Verfahren oder erst im Beweisverfahren gefällt worden war, weist die zweite Spalte die Urteile aus, die nach einem Beweisverfahren gefällt worden waren. Spalte 2 veranschaulicht, dass  6 (15,8 %) von insgesamt 38 Ehen erst nach einem Beweisverfahren annulliert worden waren.  Auch 17 (27,8 %) von 61 Ehescheidungen waren erst im Beweisverfahren durchgesetzt worden. Auch der Gewährung einer längerfristigen Toleranz (über ein Jahr) war in rund einem Drittel der Fälle ein Beweisverfahren vorangegangen.

Andrea Griesebner, Juni 2018
Letztes update, Andrea Griesebner, Jänner 2021

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Zitation: Andrea Griesebner, Beweisverfahren » Einstieg » Eheverfahren » Kirchliche Gerichtsbarkeit (1558–1783), in: Webportal. Ehen vor Gericht 3.0, 2024, <http://ehenvorgericht.univie.ac.at/?page_id=6004>. [Zugriffsdatum: 2024-04-25]