Einblicke (1783–1850)

„Welches sind die Ursachen, daß so viele Eheleute nicht glücklich leben?“

Diese Frage wurde in einem im Jahr 1805 in Wien publizierter Eheratgeber formuliert. Als Antwort erstellte der Verfasser des Buches eine ‚Top Ten-Liste‘:

1) Mangel an guter christlicher Erziehung. 2) Vernachläßigung des täglichen Gebeths. 3) Mangel an Tugend und Gedult, an gefälliger schonender Liebe. 4) Der übermäßige, und dann zum Ekel gewordene Genuß ehelicher Liebe. 5) Die daraus entstandene herrschende Lüsternheit nach Abwechslung. 6) Der Müßiggang. 7) Die nie zu befriedigende Neigung zur Kleiderpracht, zu immerwährenden Unterhaltungen, Spielen, und derley Geld und Zeit und Tugend verzehrenden Tändeleyen. 8 ) Die daraus entstehende Schuldenlast, oder die bittere Vorstellung: "wie werden wir in der Folge unsere Gläubiger befriedigen? Wo Brod, Kleidung u.s.w. für uns und unsere Kinder hernehmen?" 9) Mangel an der großen Lebensweisheit: Herr über seine Neigungen zu seyn, und gerne zu entbehren, was man nicht leicht haben kann. 10) Falsche Begriffe von dem Ehestande und dessen Pflichten.

Aus: „Guter Rat über die wichtigsten Punkte des Ehestandes so wohl in moralischer als physischer Rücksicht. Ein nützliches Geschenk für Brautleute, welche im Ehestande wahrhaft glücklich zu leben wünschen“, Wien 1805, 104–105.

 

Vorkehrungen für Die Scheidung

Im Dezember 1809 ließen sich Johann und Rosa Kroy einverständlich von Tisch und Bett scheiden. Der 35-jährige Johann Kroy arbeitete  zum Zeitpunkt der Scheidung als Ingrossist bei der k. k. Hofkriegsbuchhaltung. Rosa Kroy, geborene Haan, war neun Jahre jünger als ihr Ehemann. Aus der Ehe war eine Tochter hervorgegangen. Im Scheidungsvertrag versprachen

„beide Theile nach vorgenommener Trennung von Tisch und Bett, niemandem die die gegenwärtige Ehescheidung veranlassenden Gründe mitzutheillen und einander bei allen Gelegenheiten mit wechselseitiger Achtung zu behandeln“.

Als Unterhalt für Rosa Kroy vereinbarte das Ehepaar nicht das übliche Drittel, sondern zwei Fünftel seiner Einkünfte zuzüglich der Alimente für die Tochter. Johann Kroy verdiente als Beamter 700 Gulden pro Jahr. Aus Kapitalgeschäften bezog er zusätzlich jährlich 750 Gulden an Zinsen. Rosa Kroy erhielt für sich und ihre Tochter einen jährlichen Unterhalt von 800 Gulden. Im Fall, dass Johann Kroy in Zukunft ein geringeres oder höheres Einkommen beziehen sollte, sollte der Unterhalt im selben Verhältnis reduziert oder erhöht werden.

Johann Kroy, in der Zwischenzeit zum k. k. Rechnungsrat aufgestiegen, heiratete 1825 erneut. Diesmal vereinbarte er die Unterhaltsansprüche im Falle einer Scheidung bereits im Ehevertrag. Im Ehevertrag vom September 1825 unterschrieb die Braut, bei einer Ehescheidung  sich mit einem Sechstel seiner Einkünfte zu „begnügen“.

Erkläret die Braut, daß, wenn während des Ehestandes sich Fälle ereignen sollten, welche eine Ehescheidung herbeiführen, sie sich mit einem Sechstel des dermahligen Gehaltes des Bräutigames, welcher in 1.200 Gulden bestehet, begnügen wolle, und daß, wenn dieser Gehalt in der Folge durch irgendeinen Zufall vermindert werden sollte, sie sich auch mit einem Sechstel des verminderten Gehaltes zufriedenstellen, endlich wenn der Bräutigam in der Zukunft pensionnirt werden sollte, sie sich auch mit einem Sechstel der Pension behelfen wolle.

WStLA 1.2.3.2.A10 179/1841

Dass in Heiratsverträgen katholischer Brautpaare unterhaltsbezogene oder vermögensrechtliche Vorkehrungen für den Fall einer Scheidung getroffen wurden, war bislang unbekannt. Aus Eheverträgen jüdischer Brautpaare kennt die Historiografie solche vorkehrenden Maßnahmen sehr wohl.

 

Vergeben und Vergessen

Dem bzw. der betrogenen Ehepartner*in stand das Recht, eine Scheidung zu verlangen, nicht zu, wenn dieser bzw. diese dem Ehebrecher bzw. der Ehebrecherin die „zugefügte Beleidigung ausdrücklich und gänzlich verziehen“ habe, so der Jurist Thomas Dolliner.

Um zu beweisen, dass sie ihrem Ehemann den Seitensprung mit einer anderen Frau nicht vergeben und vergessen hatte, schwor Katharina Popp im Jahr 1810 folgenden Eid vor dem Scheidungsgericht, dem Magistrat der Stadt Wien:

Ich Katharina Popp schwöre zu Gott dem Allmächtigen einen reinen, körperlichen, und unverfälschten Eyd ohne einige Gemüthshinterhaltung oder zweydeutigen Verstand, das ist, das ich nicht anders rede, als ich denke, und nicht anders denke, als ich rede, sondern wie ich es mir einstens vor dem strengen und allwissenden Richterstuhl Gottes zu verantworten getraue dahin:

Daß ich bey dem Stiftgericht Schotten im März 1808 nach der gefänglichen Einziehung der Juliana Reisinger nebst gänzlichen Vergeben und Vergessen des Vergehens des Geklagten mit dieser Reisinger mich nicht geäussert habe, wieder mit dem Geklagten leben zu wollen. So wahr mir Gott helfe.

Katharina Popp

 

Ein „Kuchenbüchel“ als Beweisstück

In den allermeisten vor dem Magistrat der Stadt Wien durchgeführten Trennungsverfahren dienten amtliche Dokumente oder mündliche Aussagen von Zeug*innen als Beweise, die einen Scheidungsgrund untermauern sollten. Cäcilia Swoboda brachte 1816 – nach nur dreijähriger Ehe – in ihrer Scheidungsklage allerdings ein „Kuchelbüchel“ von Oktober 1814 als Beweisstück ein. Sie warf ihrem Ehemann vor, dass er „in [das] kuchelbüchel, wenn irgendeine ausgabe für sie vorkam, für die sau, anstatt frau hinein[geschrieben]“ habe. Ihr Ehemann Franz Mathias Swoboda widersprach dem Vorwurf nicht und äußerte sich in der Beantwortung der Klage folgendermaßen:

Dieß aber sey wahr, daß er in sein eigenes kuchenbüchel statt für die frau, für die sau geschrieben habe. Allein dieß sey deßwegen geschehen, weil die betrefende ausgabe auf brandwein gemacht worden ist, daher habe er statt für die frau, „für die sau“ eingeschrieben.

Der Wiener Stadtmagistrat gab der Scheidungsklage von Cäcilia Swoboda statt. Neben anderen rechtmäßigen Scheidungsgründen galt in den Augen des Magistrats die „Kränkung“ der Ehefrau als bewiesen. Der Magistrat argumentierte damit konform zu den Bestimmungen des ABGB von 1811. Paragraf 109 des ABGB hielt „nach dem Verhältnisse der Person, sehr empfindliche, wiederhohlte Kränkungen“ als einen rechtmäßigen Scheidungsgrund fest.

 

Scheidungsgrund: Ehebruch

Das ABGB von 1811 erkennt den Ehebruch als einen gesetzmäßigen Grund für eine Scheidung von Tisch und Bett an. Der oder die Beklagte musste jedoch von einem Gericht des Ehebruchs schuldig erklärt worden sein. Dass in solchen Gerichtsprozessen die Ausgangssituation der Klägerin bzw. des Klägers keine einfache war, beschreibt Chrysostomus Fauller in seiner 1827 veröffentlichten vierbändigen Sammlung von Gesetzen, Verordnungen und Vorschriften für die Polizeiverwaltung im Kaisertum Österreich:

Der Ehebruch kann, den Fall als eine verheirathete Person mit der Unzucht Gewerbe treibt, ausgenommen, nie von Amtswegen, sondern allein auf Verlangen des beleidigten Theiles in Untersuchung gezogen, und bestrafet werden. Selbst dieser ist zu einer solchen Forderung ferner nicht berechtiget, wenn er die ihm bekannt gewordene Beleidigung ausdrücklich verziehen, oder stillschweigend dadurch nachgesehen, daß er von der Zeit an, da ihm solche bekannt geworden, durch sechs Wochen darüber nicht Klage geführet hat. Auch die bereits erkannte Strafe erlischt, sobald der beleidigte Theil sich erkläret, mit dem Schuldigen wieder leben zu wollen. Doch hebt eine solche Erklärung die schon erkannte Strafe in Ansehung der Mitschuldigen nicht auf. (§. 248. 2. Thl. St. Ges. B.)
Aus: Fauller, Chrysostomus: Gesetze, Verordnungen und Vorschriften für die Polizei=Verwaltung im Kaiserthume Oesterreich. Erschienen in den Jahren 1740 bis Ende 1825, und in alphabetisch=chronologischer Ordnung zusammengestellt, mit vorzüglicher Rücksicht auf Nieder=Oesterreich, Bd. 1, Wien 1827, 316.

 

Ein Häutel als Verhütungsmittel
Im August 1830 führte Magdalena Kaubarek ein uneinverständliches Scheidungsverfahren gegen ihren Ehemann. Sowohl sie als ihr Mann, ein Bindermeister aus der Leopoldstadt, waren zu diesem Zeitpunkt 42 Jahre alt. Aus dem Protokoll, das während der Verhandlung angefertigt wurde, erfahren wir Folgendes. Der Ehemann sagte aus:
Seine Gattin [habe ihm] einst im Bette erzählt, daß ihre beste Freundin, welche von ihrem Manne geschieden war, ihr einst gesagt habe, daß ihr Gatte bey Pflegung des Beyschlafs um die Kindererzeugung zu verhindern, gewisse Vorsichten anwandte.

Von Seite der Commission nahm man Anstand, die wörtlichen Ausdrücke zu Protokoll zu nehmen, allein derselbe beharrte darauf, und gab aus eigenem Munde folgendes zu Protokoll:

Seine Gattin habe gesagt, diese ihre beste Hausfreundin habe ihrem Manne das Recht abgewonnen, daß sie gerne ein Kind gehabt hätte; da habe sie darauf gesagt, so oft er sie gebraucht habe, habe er stets ein Häutel darüber gethan; da habe er Kauberek ihr zur Antwort gegeben, er sey schon 30 Jahre in der Fremd, habe sehr viel gesehen, aber dieß habe er nicht gesehen, wenn daher seine Gattin eine solche Hausfreundin hatte, so könne an ihr auch nichts braves seyn, das gehöre nicht für eine wohlerzogene Jungfrau.

Auf der Homepage des Museums für Verhütung & Schwangerschaftsabbruch findet sich eine Abbildung eines solchen Häutels. In den Beständen des Museums ist unter der Inventarnummer 2053 ein Schafsdarmkondom mit Bändchen verzeichnet.

 

„Klugheitsregeln, die zu beobachten sind, wenn beyde Eheleute zusammen vor Gericht zu stehen kommen.“

In den späten 1820er Jahren veröffentlichte der Jurist Thomas Dolliner in der „Zeitschrift für österreichische Rechtsgelehrsamkeit“ mehrere Beiträge über bestimmte Aspekte gerichtlicher Ehetrennungsverfahren. 1848 – zu diesem Zeitpunkt war er bereits emeritierter „Professor des Römischen Civil -und des Kirchenrechtes an der Wiener Universität“ –versammelte er diese und publizierte das „Handbuch des österreichischen Eherechtes“.

Nachdem der Eherichter die beiden Eheleute isoliert vernommen habe, rät Thomas Dolliner dem Richter, die „beyden Eheleute zugleich vor sich kommen [zu] lassen“. Für die gemeinsame Vernehmung von Ehefrau und Ehemann formulierte Thomas Dolliner folgende „Klugheitsregeln“:

1. Der Richter muß trachten, jeden Ausbruch der Leidenschaft im Keime zu ersticken, widrigens dürfte er die Erfahrung machen, daß die Eheleute, die sich gewöhnlich in einem sehr bewegten Gemüthszustande befinden, seine Ohren mit wechselseitigen Anklagen ermüden, sich mit Vorwürfen aller Art überhaufen, und zuletzt mit einander in ein unanständiges Gezänk und in eine solche Erbitterung gerathen werden, die ihnen alle Fähigkeit benimmt, vernünftige Vorstellungen anzuhören oder ihre Rechte gehörig zu vertheidigen. Die ganze Tagsatzung kann darüber fruchtlos ablaufen.

2. Er darf kein unanständiges Betragen dulden, den streitenden Theilen jeden solchen Unfug mit Ernst und Nachdruck untersagen, und wenn dieses nicht hilft, die weitere Verhandlung auf einen anderen Tag verlegen.

3. Er selbst soll die Parteyen schonend behandeln, ihnen keine unnützen Vorwürfe machen, sich gegen sie keine beleidigenden Reden oder unschickliche Scherze erlauben, sie nicht mit rauhen Worten anfahren, sondern sie gelassen fragen und anhören, nöthigen Falles belehren, und ihrem oft undentlichen [sic] und unzusammenhängenden Vortrage, oder ihrer Unbehülflichkeit in Darlegung der Beweismittel duch gehörige Weisungen nachhelfen.

Aus: Dolliner, Thomas: Handbuch des österreichischen Eherechtes, Bd. 3: Der österreichische Eheproceß, Wien 1848, 120.

 

Ekel als Scheidungsgrund

Am 3. April 1850 rechtfertigte sich der 64-jährige Schneidermeister Johann Duschek gegen die Vorwürfe, die seine um 33 Jahre jüngere Ehefrau Rosalia Duschek gegen ihn vorgebracht hatte, wie folgt:

Was den 2ten Scheidungsgrund anbelangt, nämlich, daß er mit einem übelriechenden Athem und Ausdünstung behaftet sey, so müße er diesen Umstand als unwahr widersprechen. ... Übrigens berufe er sich auf die Wahrnehmung der gerichtlichen Commission, denn, wäre die Angabe der Klägerin in dem Grade richtig, wie sie in ihrer Klage behauptete, so müßte dieser Übelstand auch von dem Gerichte wahrgenommen werden könnnen.

Rosalia Duschek antwortete während derselben Tagsatzung, wie ein Verhandlungstermin vor Gericht bezeichnet wurde, dass für sie

die Ausdünstung ihres Gatten Pest [sei] und es komme ihr vor, als wäre sie in der Nähe eines Leichnames, sie habe deßhalb auch zu Hause nichts eßen können.

Die Gerichtskommission ging auf die Aufforderung des beklagten Ehemanns ein und nahm Stellung zu diesem Übelstande. Der Gerichtsschreiber vermerkte Folgendes im Protokoll:

Von Seite der Kommission wird bemerkt, daß Johann Duschek der Gerichtscommission sehr nahe stand, und deßen ungeachtet von der behaupteten übelriechenden Ausdünstung nichts bemerkt wurde, und daß auch die Klägerin dem Geklagten knapp zur Seite stand, ohne durch eine derlei Ausdünstung belästiget zu werden.

Georg Tschannett, 2016

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Zitation: Georg Tschannett, Einblicke (1783–1850) » Einstieg » Einblicke, in: Webportal. Ehen vor Gericht 3.0, 2024, <http://ehenvorgericht.univie.ac.at/?page_id=2456>. [Zugriffsdatum: 2024-04-24]