1. Bedingtes Endurteil
2. Antritt des Beweisverfahrens
3. Urteile nach Beweisverfahren
1. Bedingtes Endurteil
Wie im Menüpunkt Normen beschrieben, konnten die Richter die Annullierungs- bzw. Scheidungsklagen entweder bereits im summarischen Verfahren entscheiden, oder aber einem Eheteil ein Beweisverfahren auferlegen. Im Gegensatz zur Frühen Neuzeit nahm das bedingtes Endurteil, in den Quellen oft auch als Beweisurteil bezeichnet, nicht das Urteil vorweg, welches in Kraft trat, wenn das Beweisverfahren nicht angetreten oder „verloren“ wurde, sondern es definierte das Urteil, welches in Kraft trat, wenn es der beweisführenden Ehepartei gelang, die geforderten Beweise zu erbringen. In den untersuchten Quellen der weltlichen Gerichtsbarkeit sind bedingte Endurteile nur im Quellenkorpus des Wiener Zivilmagistrats, nicht aber für die anderen Ortsgerichte überliefert.
Tabelle 1: Klageinteresse | bedingtes Endurteil | Geschlecht
Auf den ersten Blick spielen die Beweisverfahren quantitativ eine geringe Rolle. Wie Tabelle 1 deutlich macht, fällten die Richter des Wiener Zivilmagistrats nur in einem von vier Annullierungs- und in 23 von 397 (siehe Tabelle 3) uneinverständlichen Scheidungsverfahren ein bedingtes Endurteil. Insgesamt waren damit 21 Frauen und drei Männer berechtigt, in einem weiteren Verfahrensschritt Beweise für die Eheverfehlungen des Ehepartners bzw. der Ehepartnerin vorzulegen.
In vier Fällen fanden wir in den überlieferten Aktendossiers keinen Hinweis darauf, dass die Ehefrauen bzw. der Ehemann das Beweisverfahren angetreten hatte. Auch im Falle des im Menüpunkt Normen bereits kurz erwähnten Ehepaares Konstantia und Jakob Santner ist kein Beweisverfahren überliefert. Der Richter hatte im bedingten Endurteil vom 6. September 1810 Konstantia Sandner aufgetragen, die behaupteten Gewalthandlungen ihres Ehegatten durch Zeug*innen und ihren Eid zu beweisen. Konstantia Sander dürfte das kostspielige Beweisverfahren nicht angetreten haben. Wir wissen auch nicht, ob das Ehepaar wieder gemeinsam lebte. Sicher ist dagegen, dass der Ehemann fünf Jahre später eine einverständliche Scheidung B (vgl. Methoden) einreichte und das Ehepaar am 21. Oktober 1816 einen Scheidungsvergleich schloss, in welchem Konstantia auf jegliche Unterhaltszahlungen des Ehemannes verzichtete.
2. Antritt des Beweisverfahrens
Tabelle 2: Klageinteresse im Beweisverfahren | Geschlecht
Wie der Tabelle 2 entnommen werden kann, traten 18 Frauen und 2 Männer das Beweisverfahren an. In einem Verfahren versuchte die Ehefrau die Annullierung zu erreichen. Das bedingte Endurteil vom 5. Juli 1784 hatte Katharina Hakl auferlegt,
„zu erweisen, daß die von ihr ihrem ehewirth angeschuldete kindererzeignußunvermögenheit schon vor schlißung ihres beedseitigen ehebandes bestanden habe, auch dieselbe von solcher niemal wieder hergestellet werden könne.“
Bemerkenswert an diesem bedingten Endurteil ist, dass Katharina Hakl nicht wie üblich, die Impotenz des Ehemannes, sondern die Zeugungsunfähigkeit des Ehemannes beweisen sollte. Ich komme auf diesen Fall weiter unten nochmals zurück. Die anderen Verfahren hatten die Scheidung der Ehe von Tisch und Bett zum Ziel. Mit Ausnahme eines Verfahrens trug das bedingte Endurteil den Ehefrauen und auch den beiden Ehemännern auf, die physische Gewalt des Ehemannes bzw. der Ehefrau, teilweise auch den übermässigen Alkoholkonsum und die Vernachlässigung der Wirtschaft (dies kann sowohl den Haushalt wie auch das Gewerbe bzw. Handwerk bedeuten) mittels Zeug*innen und durch die Ablegung eines Haupteides des Ehepartners, der Ehepartnerin zu beweisen.
Anna Marker musste gemäß des bedingten Endurteil vom 29. Dezember 1806 den Beweis erbringen, dass sie krankheitsbedingt den ehelichen Geschlechtsverkehr nicht vollziehen könne. Ihre Klageschrift ist leider nicht überliefert, sondern ihre Argumentation lässt sich nur aus der Formulierung des Richters rekonstruieren, der der Scheidung unter der Bedingung zustimmte,
„wenn der herr kläger durch den in der klage angebothenen beweis durch sachverständige zu erweisen vermag, daß die krankheitsumstände der m(inderjährigen) Anna Marker die eheliche beywohnung unzulässig machen und nur in solange statt, als diese krankheitsumstände nicht aufhören“ (WStLA 1.2.3.2.A6 Sch. 5, 34/1806).
Wie sich dem Zitat entnehmen lässt, war Anna zum Zeitpunkt der Klage nach minderjährig und wurde daher von einem Kurator vertreten, der im obigen Zitat auch als Kläger bezeichnet wird. Geheiratet hatten die 22-jährige Tochter eines Magistratischen Bauübergehers und der 36-jährige, aus Schlesien stammende, bürgerliche Schmiedmeister in der Wiener Pfarrkirche der Schotten am 30. April 1804. Anna Marker bzw. ihr Kurator appellierten gegen das bedingte Endurteil. Das k.k. Appellationsgericht bestätigte das bedingte Endurteil des Magistrats, entschied am 12. Mai 1807, dass die Trennung von Tisch und Bett unter der Bedingung genehmigt wird:
„wenn kläger durch den in der klage angebothenen beweis durch sachverständige zu erweisen vermag: daß die fortsetzung des beyschlafes mit gefahr für die gesundheit der klägerischen kurandin Anna Marker oder mit besonderer beschwerlichkeit verbunden seyn würde.“
Tabelle 3 – Zeitsegmente | uneinverständliche Klagen | Beweisverfahren
Tabelle 3 korreliert die 20 Beweisverfahren mit den untersuchten Zeitsegmenten und macht deutlich, dass sich die Beweisverfahren auf alle untersuchten Zeitsegmente verteilen. Die vier Annullierungsverfahren beschränken sich dagegen auf den ersten Untersuchungsabschnitt. Hintergrund dafür ist, wie wir im Abschnitt Normen ausführen, dass der Wiener Zivilmagistrat nur in den ersten beiden Jahren seiner Zuständigkeit auch über die Annullierungen der Ehen entscheiden konnte.
Tabelle 4: Klageinteresse im HV und im Beweisverfahren | Geschlecht
Tabelle 4 setzt alle uneinverständlichen Klagen in Relation zum Geschlecht der klagenden Ehepartei. Die ersten drei Spalten listen alle Verfahren in der Hauptsache (Annullierung oder uneinverständliche Scheidung) auf, die nächsten drei Spalten nennen die Anzahl der Verfahren, in welchen ein Eheteil ein Beweisverfahren antrat. Deutlich wird, dass die Beweisverfahren zu 90 % von Frauen geführt wurden, obwohl nur drei Viertel (76,3 %) der uneinverständlichen Verfahren von ihnen angestrengt worden waren. Dass Beweisverfahren bei den uneinverständlichen Klagen eine nicht unwesentliche Bedeutung spielten, erschließt sich dann, wenn wir bedenken, dass viele der uneinverständlichen Scheidungen mittels eines Scheidungsvergleiches entschieden worden waren.
Tabelle 5: Zeiträume | Ehepaare | gerichtliche Scheidungsurteile
Tabelle 5 setzt die Ehen, welche vom Wiener Magistrat mittels Urteil von Tisch und Bett geschieden wurden, in mehrfache Relationen. Wie der Tabelle entnommen werden kann, wurden von 670 Ehepaaren, deren Verfahren wir analysierten, insgesamt 71 Ehepaare uneinverständlich von Tisch und Bett geschieden. 11 von ihnen (15,5%) erst nach einem langwierigen Beweisverfahren, welches wie Tabelle 6 zeigt, mit einer Ausnahme, von den Ehefrauen geführt worden war. In Relation zu den Zeitsegmenten fällt auf, dass vor allem in den ersten Jahren der weltlichen Zuständigkeit die Richter deutlich öfter ein Beweisverfahren anordneten, als in den später liegenden Zeitsegmenten. Dieses Ergebnis ist vor allem auch vor dem normativen Hintergrund zu interpretieren, dass uneinverständliche Scheidungen bis 1811 kaum möglich waren.
3. Urteile nach dem Beweisverfahren
Tabelle 6: Urteile nach einem Beweisverfahren | beweisführende Ehepartei
Tabelle 6 listet die Endurteile nach einem Beweisverfahren auf. In einem Viertel der Beweisverfahren kamen die Richter zu dem Ergebnis, dass es der klagenden Ehepartei nicht gelungen war, Beweise für die aufgetragenen Eheverfehlungen zu erbringen. Die Ablehnung der Klage bedeutete in der Praxis, dass die klagende Ehepartei (vier Frauen und ein Mann) das eheliche Leben wieder aufzunehmen hatten, wollten sie sich nicht selbst der Eheverfehlung der „böswilligen Verlassung“ schuldig machen.
Unter den „verlorenen“ Beweisverfahren befindet sich auch das Beweisverfahren zur Annullierung der Ehe, welches wie oben erwähnt Katharina Hakl führte. Richter Hofman lehnte die Annullierung der Ehe ab. In den Beweggründen zum Beweisurteil vom 13. Dezember 1784 argumentierte er, dass weder die Zeug*innen, noch das Gutachten der medizinischen Fakultät einen Hinweis auf die Impotenz des Mannes ergaben:
„daß man den Hakel keineswegs für unvermögend nenen könne, oder erklären könne; auch wahrheitswidrig sei, daß seine geburtstheile von dem lustseuchsgifte zerfressen, und ungestaltet wären.“ (WStLA 1.2.3.2.A6 Sch. 1, 13/1784).
Andrea Griesebner, Jänner 2021