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Scheidungsgrund: Ehebruch

Das ABGB von 1811 erkennt den Ehebruch als einen gesetzmäßigen Grund für eine Scheidung von Tisch und Bett an. Der oder die Beklagte musste jedoch von einem Gericht des Ehebruchs schuldig erklärt worden sein. Dass in solchen Gerichtsprozessen die Ausgangssitutation der Klägerin bzw. des Klägers keine einfache war, beschreibt Chrysostomus Fauller in seiner 1827 veröffentlichten vierbändigen Sammlung von Gesetzen, Verordnungen und Vorschriften  für die Polizeiverwaltung im Kaisertum Österreich:

Der Ehebruch kann, den Fall als eine verheirathete Person mit der Unzucht Gewerbe treibt, ausgenommen, nie von Amtswegen, sondern allein auf Verlangen des beleidigten Theiles in Untersuchung gezogen, und bestrafet werden. Selbst dieser ist zu einer solchen Forderung ferner nicht berechtiget, wenn er die ihm bekannt gewordene Beleidigung ausdrücklich verziehen, oder stillschweigend dadurch nachgesehen, daß er von der Zeit an, da ihm solche bekannt geworden, durch sechs Wochen darüber nicht Klage geführet hat. Auch die bereits erkannte Strafe erlischt, sobald der beleidigte Theil sich erkläret, mit dem Schuldigen wieder leben zu wollen. Doch hebt eine solche Erklärung die schon erkannte Strafe in Ansehung der Mitschuldigen nicht auf. (§. 248. 2. Thl. St. Ges. B.)
Fauller, Chrysostomus: Gesetze, Verordnungen und Vorschriften für die Polizei=Verwaltung im Kaiserthume Oesterreich. Erschienen in den Jahren 1740 bis Ende 1825, und in alphabetisch=chronologischer Ordnung zusammengestellt, mit vorzüglicher Rücksicht auf Nieder=Oesterreich, Bd. 1, Wien 1827,S. 316.

Wegweisung und Kirchenarrest anno 1665

Ehetrennungen verliefen selten reibungslos. Bei Nicht-Befolgung von Vorladungen, wenn eine Person flüchtig war oder gerichtliche Auflagen ignorierte, ersuchte das Konsistorium häufig um die Amtshilfe weltlicher Obrigkeiten. Seltener finden sich Belege, dass das Kirchengericht selbst zu Zwangsmaßnahmen griff.

Im Juni 1665 hielt es Ursula Grieblerin mit ihrem gewalttätigen Ehemann nicht mehr aus. Nachdem Lucas Griebler selbst zugegeben hatte, seine Frau immer wieder zu schlagen, gewährte das Wiener Konsistorialgericht eine zweijährige Trennung mit der Auflage, dass Lucas Griebler bey arrestierung seiner persohn sich der klägerin ihrer persohn und ihres zimmers und cohabitation gänzlich enthalten solle. Dies wollte er nicht akzeptieren, sondern protestierte direkt vor Gericht, er wöll geich in ihr zimmer heimbgehen. Das Konsistorium sah sich genötigt, Lucas Griebler wegen seines truzes vom Cursor in Arrest nehmen und ihn bei Wasser und Brot so lang eingesperrt zu lassen, bis er Besserung gelobe. Nach vier Tagen wurde er schließlich entlassen.

15. Juni 1665
Grieblerin Ursula contra maritum Lucasen Griebler.
Actrix enormem saevitiam und zeigt lividos oculos, wie ers erbärmlich tractirt, begehrt von ihm nichts, sondern nur ein toleranz.
Reus bekhendt sie also geschlagen zu haben, erzelt, wie er arrestirt gewesen, wehr sie nicht zu ihm khomen, hette nichts geschickht, sie seye ein böß weib.
Conclusum: Weil die üble tractation in confesso und auß allen umstendten khein besserung, sondern noch mehreres übl zu besorgen, ist ein toleranz auff zwey jahr verwilligt, entzwischen dem mann aufferelget, daß er bey arrestierung seiner persohn sich der klägerin ihrer persohn und ihres zimmers und cohabitation gänzlich enthalten solle.
Reus will in die toleranz kurzumb nit verwilligen, sondern erclärt sich außtruckhentlich, er thue es nicht, sondrn, ist also balden in arrest verschafft, und dem cursori aufferelegt worden, daß er ihm nichts anders, alß wasser und brodt volgen lassen solle, biß das er sich bessert.
Ist in arrest verblieben biß 19ten dits, an wellchem der arrestierte auf sein erbietten und anglieben, das er sie weder mit wortt noch werkhen nicht offendieren, auch nicht in ihr zümmer khumen wölle, erlassen worden, doch stehet ihm sein beschwähr, da er eine zu haben vermeint, bevohr.

Die mit gutem Willen von beyden Seiten eingegangenen Trennungen sind in Wien sehr gemein.

Der Schriftsteller Johann Rautenstrauch veröffentlichte 1784 unter dem Pseudonym „Arnold“ ein dreiteiliges Büchlein, das er mit „Schwachheiten der Wiener. Aus dem Manuskript eines Reisenden“ betitelte. Darin finden sich interessante Beschreibungen aus dem (bürgerlichen bzw. adeligen) Wiener Alltag. Rautenstrauch äußerte sich beispielsweise über den „Ehestand“, den „Widerwillen für die Heyrath“, die „Spielsucht“ und die „Schminke“. Interessant ist seine Meinung zur Ehetrennung:

Der erzbischöfliche Pallast in Wien hallt täglich und stündlich von den Klagen wieder, welche Eheleute, die Eines des Andern müde sind, vor dem Konsistorium ausstossen, und doch ist die Ehescheidung nicht erlaubt. Die geheiligten Bande der Ehe, da ihre Unauflöslichkeit festgesetzt ist, werden also zerrissen.
Das Gesetz war endlich gezwungen, die eheliche Trennung, die noch weit empörender, als die Ehescheidung selbst ist, zu gestatten. Die mit gutem Willen von beyden Seiten eingegangenen Trennungen sind in Wien sehr gemein. So verlieren die heiligsten Gesetze ihre Kraft und Würde. - Unterdessen muß der Mann seiner Frau, in jedem Fall, ihren Unterhalt verschaffen, sie mag ihn durch üble Wirthschaft zu Grund gerichtet, oder durch unanständige Aufführung beschimpft haben.

Wer sich für die „Schwachheiten der Wiener“ interessiert, findet diese auf Phaidra, einem Service der Universität Wien.

Ein Fall aus dem Jahr 1658

Das erste Mal  tritt das Ehepaar Herbert bzw. Herbertin am 19. August 1658 vor das Wiener Kirchengericht; nur sieben Wochen nach der Eheschließung. Johann Christoph Herbert verlangte von seiner Ehefrau, dass sie zu ihm zurückkehren und die eheliche Gemeinschaft wiederaufnehmen solle, denn sie sei ihm ohne Grund fünf Tage nach der Hochzeit davongelaufen. Anna Maria Clara Herbertin begründete die Flucht mit körperlicher Abneigung (er habe Mundgeruch und sei inkontinent), Alkoholismus, Gewalttätigkeit und Impotenz. Ihr Ehemann widersprach allen Vorwürfen und beschuldigte die Beklagte, ihn ohne Grund verlassen zu haben. Im Gerichtsverfahren kam es zu keiner Einigung. Die Advokaten Dr. Lang und Dr. Bechtoldt hinterlegten jeweils eine Kaution, die sicherstellen sollte, dass sich Kläger und Beklagte dem Verfahren nicht durch Flucht entziehen.

Die Argumentation der Ehefrau, warum sie von Ihrem Ehemann davongelaufen sei, fasste der Gerichtsschreiber folgendermaßen zusammen:

[Johann Christoph Herbert] lege zue nachts daß bloße schwerdt sambt denen pistollen zum bett. 2do stinckhe er auß dem mundt, daß ihme niemandt khönne conhabitiren, laße salva veniâ urinam undt alles undter sich ins bett, und halte sich dermassen unsauber, daß sie ihme auch destwegen nicht beywohnen khönne. 3tio seye er nichts satis potens, ... Khönne ihr in debito conjugali khein satsifaction laisten, ...

Ein Häutel als Verhütungsmittel

Im August 1830 führte Magdalena Kaubarek ein Scheidungsverfahren gegen ihren Ehemann. Sowohl sie als ihr Mann, ein Bindermeister aus der Leopoldstadt, waren zu diesem Zeitpunkt 42 Jahre alt. Aus dem Protokoll, das während der Verhandlung angefertigt wurde, erfahren wir folgendes:

Seine Gattin [habe ihm] einst im Bette erzählt, daß ihre beste Freundin, welche von ihrem Manne geschieden war, ihr einst gesagt habe, daß ihr Gatte bey Pflegung des Beyschlafs um die Kindererzeugung zu verhindern, gewisse Vorsichten anwandte.

Von Seite der Commission nahm man Anstand, die wörtlichen Ausdrücke zu Protokoll zu nehmen, allein derselbe beharrte darauf, und gab aus eigenem Munde folgendes zu Protokoll:

Seine Gattin habe gesagt, diese ihre beste Hausfreundin habe ihrem Manne das Recht abgewonnen, daß sie gerne ein Kind gehabt hätte; da habe sie darauf gesagt, so oft er sie gebraucht habe, habe er stets ein Häutel darüber gethan; da habe er Kauberek ihr zur Antwort gegeben, er sey schon 30 Jahre in der Fremd, habe sehr viel gesehen, aber dieß habe er nicht gesehen, wenn daher seine Gattin eine solche Hausfreundin hatte, so könne an ihr auch nichts braves seyn, das gehöre nicht für eine wohlerzogene Jungfrau.

Auf der Homepage des Museums für Verhütung & Schwangerschaftsabbruch findet sich eine Abbildung eines solchen Häutels. In den Beständen des Museums ist unter der Inventarnummer 2053 ein Schafsdarmkondom mit Bändchen verzeichnet.

Ekel als Scheidungsgrund

Am 3. April 1850 rechtfertigte sich der 64jährige Schneidermeister Johann Duschek gegen die Vorwürfe, die seine um 33 Jahre jüngere Ehefrau Rosalia Duschek gegen ihn vorgebracht hatte, wie folgt:

Was den 2ten Scheidungsgrund anbelangt, nämlich, daß er mit einem übelriechenden Athem und Ausdünstung behaftet sey, so müße er diesen Umstand als unwahr widersprechen. ... Übrigens berufe er sich auf die Wahrnehmung der gerichtlichen Commission, denn, wäre die Angabe der Klägerin in dem Grade richtig, wie sie in ihrer Klage behauptete, so müßte dieser Übelstand auch von dem Gerichte wahrgenommen werden könnnen.

Rosalia Duschek antwortete während derselben Tagsatzung, wie ein Verhandlungstermin vor Gericht bezeichnet wurde, dass für sie

die Ausdünstung ihres Gatten Pest [sei] und es komme ihr vor, als wäre sie in der Nähe eines Leichnames, sie habe deßhalb auch zu Hause nichts eßen können.

Die Gerichtskommission ging auf die Aufforderung des beklagten Ehemanns ein und nahm Stellung zu diesem Übelstande. Der Gerichtsschreiber vermerkte folgendes im Protokoll:

Von Seite der Kommission wird bemerkt, daß Johann Duschek der Gerichtscommission sehr nahe stand, und deßen ungeachtet von der behaupteten übelriechenden Ausdünstung nichts bemerkt wurde, und daß auch die Klägerin dem Geklagten knapp zur Seite stand, ohne durch eine derlei Ausdünstung belästiget zu werden.

ein zu freizügiger Kleidungsstil…

Am 18. November 1776 erschienen Klara Freiin von Summerau und Gottfried Freiherr von Summerau vor dem Wiener Konsistorialgericht. Die Ehefrau äußerte, dass derzeit eine zusammenwohnung nicht friedlich seyn dürfte und verlangte, für eine bestimmte Zeit ihrem Ehemann den Zutritt zur Wohnung zu verbieten und getrennt leben zu dürfen. Als Gründe für die „Toleranz“ – wie der Zeitraum der Trennung bezeichnet wurde – gab Klara Freiin von Summerau folgendes an:

ihr gemahl habe sie jederzeit hart gehalten, verschiedene gefährliche trohungen gemacht, sein ganzes betragen wäre sehr unanständig, er halte sich in wäsch und kleidung unrein, wär vorhin öfters über nacht auf verdächtigen gründen geblieben, gehe zu haus vor den kindern und domestiquen im blossen hemd herum, gebe diesen üble beyspile, begehr in ipso actu conjugale ausschweifungen.

Ein „Kuchenbüchel“ als Beweisstück

In den allermeisten vor dem Magistrat der Stadt Wien durchgeführten Trennungsverfahren  dienten amtliche Dokumente oder mündliche Aussagen von ZeugInnen als Beweise, die einen Scheidungsgrund untermauern sollten. Cäcilia Swoboda brachte 1816 – nach nur dreijähriger Ehe – in ihrer Scheidungsklage allerdings ein „Kuchelbüchel“ von Oktober 1814 als Beweisstück ein. Sie warf ihrem Ehemann vor, dass er „in [das] kuchelbüchel, wenn irgendeine ausgabe für sie vorkam, für die sau, anstatt frau hinein[geschrieben]“ habe. Ihr Ehemann Franz Mathias Swoboda widersprach dem Vorwurf nicht und äußerte sich in der Beantwortung der Klage folgendermaßen:

Dieß aber sey wahr, daß er in sein eigenes kuchenbüchel statt für die frau, für die sau geschrieben habe. Allein dieß sey deßwegen geschehen, weil die betrefende ausgabe auf brandwein gemacht worden ist, daher habe er statt für die frau, „für die sau“ eingeschrieben.

Der Wiener Stadtmagistrat gab der Scheidungsklage von Cäcilia Swoboda statt. Neben anderen rechtmäßigen Scheidungsgründen galt in den Augen des Magistrats die „Kränkung“ der Ehefrau als bewiesen. Der Magistrat argumentierte damit konform zu den Bestimmungen des ABGB von 1811. Paragraf 109 des ABGB hielt „nach dem Verhältnisse der Person, sehr empfindliche, wiederhohlte Kränkungen“ als einen rechtmäßigen Scheidungsgrund fest.

Das Laster der Selbstbefleckung

Ägyd von Liechtenstern, Kanzlist bei der kaiserlichen geheimen Reichshofkanzlei, wandte sich im Dezember 1781 an das Wiener Konsistorium. Seiner Aussage zufolge, halte er es im Haus seines Schwiegervaters Karl Fritz von Rustenfeld, in dem er gemeinsam mit seiner Ehefrau wohne, nicht länger aus. Ägyd von Liechtenstern äußerte vor Gericht, dass er unter dem Dach des Schwiegervaters „von seiner frau abgesondert leben [müsse] und ganz niederträchtig behandelt [werde]“ und bat das kirchliche Gericht, seiner Frau aufzutragen, dass sie zu ihm ziehe. Karl Fritz von Rustenfeld brachte zur Verteidigung seiner Tochter vor,

das seine tochter nie zur cohabitierung mit einem solchen mann könne verhalten werden, welcher sich dem laster der selbstbefleckung so sehr ergeben, daß selbes bey ihm ganz zur gewohnheit geworden und wodurch er sich die hinfallende krankheit, manchmallige hirn verzuckungen, raserey, abzehrrung und untauglichkeit zur erzeugung zugezochen.

aus: Eheprozess Ägyd contra Anna Maria Liechtenstern in Sachen Cohabitierung (DAW: WP 160_318).

In seiner Argumentation griff der Schwiegervater auf das reichhaltige Repertoire der Onaniedebatte zurück. Vielleicht hatte er ja eine der Schriften des Schweizer Arzts Simon Auguste Tissot gelesen, der in seinen Schriften gegen das Laster der Selbstbefleckung vorging.

Tissot, Simon Auguste: Versuch von denen Krankheiten, welche aus der Selbstbefleckung entstehen, Frankfurt/Leipzig 1760.

„Klugheitsregeln, die zu beobachten sind, wenn beyde Eheleute zusammen vor Gericht zu stehen kommen.“

In den späten 1820er-Jahren veröffentlichte der Jurist Thomas Dolliner in der „Zeitschrift für österreichische Rechtsgelehrsamkeit“ mehrere Beiträge über bestimmte Aspekte gerichtlicher Ehetrennungsverfahren. 1848 – zu diesem Zeitpunkt war er bereits emeritierter „Professor des Römischen Civil= und des Kirchenrechtes an der Wiener Universität“ – versammelte er diese und publizierte das „Handbuch des österreichischen Eherechtes“.

Nachdem der Eherichter die beiden Eheleute isoliert vernommen habe, rät Thomas Dolliner dem Richter, die „beyden Eheleute zugleich vor sich kommen [zu] lassen“. Für die gemeinsame Vernehmung von Ehefrau und Ehemann formulierte Thomas Dolliner folgende „Klugheitsregeln“:

1. Der Richter muß trachten, jeden Ausbruch der Leidenschaft im Keime zu ersticken, widrigens dürfte er die Erfahrung machen, daß die Eheleute, die sich gewöhnlich in einem sehr bewegten Gemüthszustande befinden, seine Ohren mit wechselseitigen Anklagen ermüden, sich mit Vorwürfen aller Art überhaufen, und zuletzt mit einander in ein unanständiges Gezänk und in eine solche Erbitterung gerathen werden, die ihnen alle Fähigkeit benimmt, vernünftige Vorstellungen anzuhören oder ihre Rechte gehörig zu vertheidigen. Die ganze Tagsatzung kann darüber fruchtlos ablaufen.

2. Er darf kein unanständiges Betragen dulden, den streitenden Theilen jeden solchen Unfug mit Ernst und Nachdruck untersagen, und wenn dieses nicht hilft, die weitere Verhandlung auf einen anderen Tag verlegen.

3. Er selbst soll die Parteyen schonend behandeln, ihnen keine unnützen Vorwürfe machen, sich gegen sie keine beleidigenden Reden oder unschickliche Scherze erlauben, sie nicht mit rauhen Worten anfahren, sondern sie gelassen fragen und anhören, nöthigen Falles belehren, und ihrem oft undentlichen [sic] und unzusammenhängenden Vortrage, oder ihrer Unbehülflichkeit in Darlegung der Beweismittel duch gehörige Weisungen nachhelfen.

aus: Dolliner, Thomas: Handbuch des österreichischen Eherechtes, Bd. 3: Der österreichische Eheproceß, Wien 1848, 120.