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Ö1 Hörbilder über das erste Frauenhaus in Österreich

Das erste österreichische Frauenhaus und seine Geschichte(n) lautet der Titel des diesen Samstag um 09:05 Uhr auf Ö1 ausgestrahlten Radio-Features. Die Sendung kann eine Woche lang unter http://oe1.orf.at nachgehört werden.

"Die möcht' ein Freudenhaus eröffnen!" Das erste österreichische Frauenhaus und seine Geschichte(n). Von Isabelle Engels

Am 1. November 1978 wurde das 1. Frauenhaus Österreichs in Wien eröffnet. Und war alsbald überfüllt: Eine große Altbauwohnung diente als vorübergehende Bleibe für Frauen, die mit ihren Kindern vor dem gewalttätigen Ehemann flüchten mussten. Mit ihnen lebte dort, Tag und Nacht, eine Gruppe junger Sozialarbeiterinnen.

Das Frauenhaus hatten sie nach dem Vorbild von London und Berlin initiiert und fanden in der damaligen Gemeinderätin und späteren Frauenministerin Johanna Dohnal eine Politikerin, die der Idee zur Durchsetzung verhalf. Gewalt gegen Frauen war zu dieser Zeit noch ein großes Tabu. Und ein antiquiertes, bis 1978 geltendes, Eherecht hatte die Frau auch im gesellschaftlichen Bewusstsein zu einem Menschen zweiter Klasse degradiert.

Dementsprechend groß waren die Widerstände, die zu überwinden waren. "In Wien werden keine Frauen geschlagen", bekundete der damalige Wiener Bürgermeister Leopold Gratz und sowohl im Gemeinderat als auch am Stammtisch witzelte man: "Die Dohnal möcht' ein Freudenhaus eröffnen!"

Heute gibt es in Österreich 28 Frauenhäuser mit über 700 Plätzen. Und auch sonst hat sich viel verändert: Statt eines WG-Lebens mit basisdemokratischen Spielregeln und ohne jede Sicherheitsvorkehrung handelt es sich heute um gut überwachte Häuser mit kleinen Wohneinheiten und professioneller Arbeitsteilung. Auf politischer Ebene wurden Gewaltschutzgesetz und Interventionsstellen geschaffen. Trotzdem haben sich die Frauenhäuser nicht erübrigt: Sie sind nach wie vor voll belegt.

Ein „Kuchenbüchel“ als Beweisstück

In den allermeisten vor dem Magistrat der Stadt Wien durchgeführten Trennungsverfahren  dienten amtliche Dokumente oder mündliche Aussagen von ZeugInnen als Beweise, die einen Scheidungsgrund untermauern sollten. Cäcilia Swoboda brachte 1816 – nach nur dreijähriger Ehe – in ihrer Scheidungsklage allerdings ein „Kuchelbüchel“ von Oktober 1814 als Beweisstück ein. Sie warf ihrem Ehemann vor, dass er „in [das] kuchelbüchel, wenn irgendeine ausgabe für sie vorkam, für die sau, anstatt frau hinein[geschrieben]“ habe. Ihr Ehemann Franz Mathias Swoboda widersprach dem Vorwurf nicht und äußerte sich in der Beantwortung der Klage folgendermaßen:

Dieß aber sey wahr, daß er in sein eigenes kuchenbüchel statt für die frau, für die sau geschrieben habe. Allein dieß sey deßwegen geschehen, weil die betrefende ausgabe auf brandwein gemacht worden ist, daher habe er statt für die frau, „für die sau“ eingeschrieben.

Der Wiener Stadtmagistrat gab der Scheidungsklage von Cäcilia Swoboda statt. Neben anderen rechtmäßigen Scheidungsgründen galt in den Augen des Magistrats die „Kränkung“ der Ehefrau als bewiesen. Der Magistrat argumentierte damit konform zu den Bestimmungen des ABGB von 1811. Paragraf 109 des ABGB hielt „nach dem Verhältnisse der Person, sehr empfindliche, wiederhohlte Kränkungen“ als einen rechtmäßigen Scheidungsgrund fest.

Das Laster der Selbstbefleckung

Ägyd von Liechtenstern, Kanzlist bei der kaiserlichen geheimen Reichshofkanzlei, wandte sich im Dezember 1781 an das Wiener Konsistorium. Seiner Aussage zufolge, halte er es im Haus seines Schwiegervaters Karl Fritz von Rustenfeld, in dem er gemeinsam mit seiner Ehefrau wohne, nicht länger aus. Ägyd von Liechtenstern äußerte vor Gericht, dass er unter dem Dach des Schwiegervaters „von seiner frau abgesondert leben [müsse] und ganz niederträchtig behandelt [werde]“ und bat das kirchliche Gericht, seiner Frau aufzutragen, dass sie zu ihm ziehe. Karl Fritz von Rustenfeld brachte zur Verteidigung seiner Tochter vor,

das seine tochter nie zur cohabitierung mit einem solchen mann könne verhalten werden, welcher sich dem laster der selbstbefleckung so sehr ergeben, daß selbes bey ihm ganz zur gewohnheit geworden und wodurch er sich die hinfallende krankheit, manchmallige hirn verzuckungen, raserey, abzehrrung und untauglichkeit zur erzeugung zugezochen.

aus: Eheprozess Ägyd contra Anna Maria Liechtenstern in Sachen Cohabitierung (DAW: WP 160_318).

In seiner Argumentation griff der Schwiegervater auf das reichhaltige Repertoire der Onaniedebatte zurück. Vielleicht hatte er ja eine der Schriften des Schweizer Arzts Simon Auguste Tissot gelesen, der in seinen Schriften gegen das Laster der Selbstbefleckung vorging.

Tissot, Simon Auguste: Versuch von denen Krankheiten, welche aus der Selbstbefleckung entstehen, Frankfurt/Leipzig 1760.

„Betrifft: Geschichte“ zum Thema „Familie im Wandel der Zeit“

Ö1 befasst sich diese Woche in der Sendereihe Betrifft: Geschichte mit der historischen Familienforschung:

Verwandtschaft und Haushalt. Familie im Wandel der Zeiten. Mit Michael Mitterauer, Institut für Wirtschafts- und Sozialgeschichte, Universität Wien. Gestaltung: Martin Adel

"Familie", abgeleitet vom lateinischen "famulus", der Bezeichnung für den Haussklaven, hatte ursprünglich gar nichts mit Verwandtschaftsverhältnissen zu tun, sondern bezeichnete eine Herrschaftsbeziehung und zwar jene des Mannes zu seinem Besitz. Der "pater familias" zählte dazu - von seiner Ehefrau angefangen über die Kinder und Sklaven bis hin zu den Haustieren - und alles, was zum "Hausstand" gehörte. Heute empfinden viele schon den Ausdruck "Haushaltsvorstand" (wie er in den statistischen Erhebungen der öffentlichen Verwaltung noch üblich ist) als zumindest störend.

Auch wenn die Großfamilie mittlerweile von der Klein- und Patchwork-Familie abgelöst worden ist, so ist mit dem Begriff Familie immer noch eine Reihe von sozialen Aufgaben und Strukturmerkmalen verbunden. Allerdings, wer heute wohl eher an Geborgenheit und Rückhalt denkt, dachte noch vor einigen Jahrhunderten mehr an Generationenfolge, an Nachwuchs. Ebenso waren die rechtlichen wie insbesondere die emotionalen Bindungen in der Familie einem radikalen Wandel unterworfen, aber sie waren vermutlich nie wirklich einfach. Es hat mit Sicherheit lange gedauert, bis man sagen konnte: "Familie kann man sich nicht aussuchen; die Freunde schon!" - Ein Zeichen befreiter Individualisierung, aber, genauer betrachtet, nicht nur das.

„Klugheitsregeln, die zu beobachten sind, wenn beyde Eheleute zusammen vor Gericht zu stehen kommen.“

In den späten 1820er-Jahren veröffentlichte der Jurist Thomas Dolliner in der „Zeitschrift für österreichische Rechtsgelehrsamkeit“ mehrere Beiträge über bestimmte Aspekte gerichtlicher Ehetrennungsverfahren. 1848 – zu diesem Zeitpunkt war er bereits emeritierter „Professor des Römischen Civil= und des Kirchenrechtes an der Wiener Universität“ – versammelte er diese und publizierte das „Handbuch des österreichischen Eherechtes“.

Nachdem der Eherichter die beiden Eheleute isoliert vernommen habe, rät Thomas Dolliner dem Richter, die „beyden Eheleute zugleich vor sich kommen [zu] lassen“. Für die gemeinsame Vernehmung von Ehefrau und Ehemann formulierte Thomas Dolliner folgende „Klugheitsregeln“:

1. Der Richter muß trachten, jeden Ausbruch der Leidenschaft im Keime zu ersticken, widrigens dürfte er die Erfahrung machen, daß die Eheleute, die sich gewöhnlich in einem sehr bewegten Gemüthszustande befinden, seine Ohren mit wechselseitigen Anklagen ermüden, sich mit Vorwürfen aller Art überhaufen, und zuletzt mit einander in ein unanständiges Gezänk und in eine solche Erbitterung gerathen werden, die ihnen alle Fähigkeit benimmt, vernünftige Vorstellungen anzuhören oder ihre Rechte gehörig zu vertheidigen. Die ganze Tagsatzung kann darüber fruchtlos ablaufen.

2. Er darf kein unanständiges Betragen dulden, den streitenden Theilen jeden solchen Unfug mit Ernst und Nachdruck untersagen, und wenn dieses nicht hilft, die weitere Verhandlung auf einen anderen Tag verlegen.

3. Er selbst soll die Parteyen schonend behandeln, ihnen keine unnützen Vorwürfe machen, sich gegen sie keine beleidigenden Reden oder unschickliche Scherze erlauben, sie nicht mit rauhen Worten anfahren, sondern sie gelassen fragen und anhören, nöthigen Falles belehren, und ihrem oft undentlichen [sic] und unzusammenhängenden Vortrage, oder ihrer Unbehülflichkeit in Darlegung der Beweismittel duch gehörige Weisungen nachhelfen.

aus: Dolliner, Thomas: Handbuch des österreichischen Eherechtes, Bd. 3: Der österreichische Eheproceß, Wien 1848, 120.

„Welches sind die Ursachen, daß so viele Eheleute nicht glücklich leben?“

Diese Frage wurde in einem im Jahr 1805 in Wien publizierter Eheratgeber formuliert. Als Antwort erstellte der Verfasser des Buchs eine ‚Top-Ten-Liste‘:

1) Mangel an guter christlicher Erziehung. 2) Vernachläßigung des täglichen Gebeths. 3) Mangel an Tugend und Gedult, an gefälliger schonender Liebe. 4) Der übermäßige, und dann zum Ekel gewordene Genuß ehelicher Liebe. 5) Die daraus entstandene herrschende Lüsternheit nach Abwechslung. 6) Der Müßiggang. 7) Die nie zu befriedigende Neigung zur Kleiderpracht, zu immerwährenden Unterhaltungen, Spielen, und derley Geld und Zeit und Tugend verzehrenden Tändeleyen. 8 ) Die daraus entstehende Schuldenlast, oder die bittere Vorstellung: "wie werden wir in der Folge unsere Gläubiger befriedigen? Wo Brod, Kleidung u.s.w. für uns und unsere Kinder hernehmen?" 9) Mangel an der großen Lebensweisheit: Herr über seine Neigungen zu seyn, und gerne zu entbehren, was man nicht leicht haben kann. 10) Falsche Begriffe von dem Ehestande und dessen Pflichten.

aus: Guter Rat über die wichtigsten Punkte des Ehestandes so wohl in moralischer als physischer Rücksicht. Ein nützliches Geschenk für Brautleute, welche im Ehestande wahrhaft glücklich zu leben wünschen, Wien 1805, 104-105.