Advokaten (1857–1868)

Vor den kirchlichen Ehegerichten bestand keine Anwaltspflicht. Dies führte dazu, dass bei den Verhandlungen Kläger*innen wie Beklagte sich nicht mehr von einem Rechtsanwalt vertreten lassen konnten, sondern sie in allen Fällen persönlich erscheinen mussten. § 143 der Anweisungen für die geistlichen Gerichte legte fest, dass sie sich von „Sachwaltern“ begleiten lassen durften. Sie hatten zwar das Recht, sich vor der Abgabe einer Erklärung mit diesen zu beraten, in das Protokoll waren aber nur jene Erklärungen aufzunehmen, welche sie persönlich tätigten. Im Fall, dass ein „Sachwalter“ im eigenen Namen eine Stellungnahme abgab, war dies im Protokoll als Stellungnahme des Sachwalters zu vermerken. § 143 sah zudem das Recht des Untersuchungskommissars vor, „Sachwalter“, die „störend einwirken“, entfernen zu lassen.

Einen Hinweis darauf, wie diese Vorgaben in der Praxis ausgelegt werden sollen, verdanken wir einen langen Stellungnahme des St. Pöltner Ehegerichts an Emerich Dorner, Dekan und Untersuchungskommissar in der Ehescheidungsklage von Theresia Halbwachs. Am 18. Februar 1857 erteilte das Ehegericht ihm den Auftrag zur Voruntersuchung ihres Scheidungsverfahrens und instruierte ihn über die korrekte Durchführung. Das Ehegericht trug ihm auf, beide Eheteile schriftlich zu einer Tagsatzung einzuladen, zu welcher beide Eheteile persönlich zu erscheinen hatten. Sollte ein Eheteil in Begleitung eines Rechtsbeistandes erscheinen, hatte der Untersuchungskommissar zu prüfen,

ob der Miterschienene ein eigentlicher Rechtsanwalt oder nur ein Subalterner eines solchen ist.“ (DASP K1/4)

War der Miterschienene ein Rechtsanwalt, so kann, so das Ehegericht, gegen dessen Anwesenheit kein Einspruch erhoben werden, durfte der Anwalt beim Verhör von jener Partei, deren Rechtsbeistand er ist, auch anwesend sein. Nicht so allerdings bei der Konfrontation der Eheparteien, wo der Untersuchungskommissar „dessen Abtretten“ zu veranlassen hatte. Wie die Instruktion des Ehegerichts deutlich macht, akzeptierte es als im § 143 genannte „Sachwalter“ nur Rechtsanwälte. Personen, die keine Advokaten sind, ja selbst Notare, so das Ehegericht, welche nicht zugleich über das Recht verfügen, in strittigen Rechtssachen zu vertreten, sind nicht zuzulassen.

In den eingesehenen Ehescheidungsprozessen des Ehegerichts St. Pölten und des Metropolitangerichts Wien fanden wir keinen Hinweis, dass Anwälte bei den Verhandlungen anwesend waren. Es ist allerdings davon auszugehen, dass sich Eheteile zumindest vorab oder auch während des Prozesses von Rechtsvertretern beraten ließen.

Andrea Griesebner, unter Mitarbeit von Isabella Planer, März 2021

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Zitation: Andrea Griesebner und Isabella Planer, Advokaten (1857–1868) » Einstieg » Advokaten, in: Webportal. Ehen vor Gericht 3.0, 2024, <http://ehenvorgericht.univie.ac.at/?page_id=10142>. [Zugriffsdatum: 2024-11-28]