Einblicke (1558–1783)

Flucht aus der Ehe im Jahr 1658

Das erste Mal tritt das Ehepaar Herbert bzw. Herbertin am 19. August 1658 vor das Wiener Kirchengericht; nur sieben Wochen nach der Eheschließung. Johann Christoph Herbert verlangte von seiner Ehefrau, dass sie zu ihm zurückkehren und die eheliche Gemeinschaft wiederaufnehmen solle, denn sie sei ohne Grund fünf Tage nach der Hochzeit davongelaufen. Anna Maria Clara Herbertin begründete die Flucht mit körperlicher Abneigung (er habe Mundgeruch und sei inkontinent), mit Alkoholismus, Gewalttätigkeit und Impotenz. Ihr Ehemann widersprach allen Vorwürfen und beschuldigte die Beklagte, ihn grundlos verlassen zu haben. Bei der Tagsatzung kam es zu keiner Einigung. Die Advokaten Dr. Lang und Dr. Bechtoldt hinterlegten jeweils eine Kaution, die sicherstellen sollte, dass sich Kläger und Beklagte dem Verfahren nicht durch Flucht entziehen.

Die Argumentation der Ehefrau, warum sie von Ihrem Ehemann davongelaufen sei, fasste der Gerichtsschreiber folgendermaßen zusammen:

[Johann Christoph Herbert] lege zue nachts daß bloße schwerdt sambt denen pistollen zum bett. 2do stinckhe er auß dem mundt, daß ihme niemandt khönne conhabitiren, laße salva veniâ urinam undt alles undter sich ins bett, und halte sich dermassen unsauber, daß sie ihme auch destwegen nicht beywohnen khönne. 3tio seye er nichts satis potens, ... Khönne ihr in debito conjugali khein satsifaction laisten, ...

 

Wegweisung und Kirchenarrest anno 1665

Ehetrennungen verliefen selten reibungslos. Bei Nicht-Befolgung von Vorladungen, wenn eine Person flüchtig war oder gerichtliche Auflagen ignorierte, ersuchte das Konsistorium häufig um die Amtshilfe weltlicher Obrigkeiten. Seltener finden sich Belege, dass das Kirchengericht selbst zu Zwangsmaßnahmen griff.

Im Juni 1665 hielt es Ursula Grieblerin mit ihrem gewalttätigen Ehemann nicht mehr aus. Nachdem Lucas Griebler selbst zugegeben hatte, seine Frau immer wieder zu schlagen, gewährte das Wiener Konsistorialgericht eine zweijährige Trennung mit der Auflage, dass Lucas Griebler bey arrestierung seiner persohn sich der klägerin ihrer persohn und ihres zimmers und cohabitation gänzlich enthalten solle. Dies wollte er nicht akzeptieren, sondern protestierte direkt bei der Tagsatzung, er wöll geich in ihr zimmer heimbgehen. Das Konsistorium sah sich genötigt, Lucas Griebler wegen seines truzes vom Cursor in Arrest nehmen und ihn bei Wasser und Brot so lang eingesperrt zu lassen, bis er Besserung gelobe. Nach vier Tagen wurde er schließlich entlassen.

15. Juni 1665
Grieblerin Ursula contra maritum Lucasen Griebler.

Actrix enormem saevitiam und zeigt lividos oculos, wie ers erbärmlich tractirt, begehrt von ihm nichts, sondern nur ein toleranz.

Reus bekhendt sie also geschlagen zu haben, erzelt, wie er arrestirt gewesen, wehr sie nicht zu ihm khomen, hette nichts geschickht, sie seye ein böß weib.

Conclusum: Weil die üble tractation in confesso und auß allen umstendten khein besserung, sondern noch mehreres übl zu besorgen, ist ein toleranz auff zwey jahr verwilligt, entzwischen dem mann aufferelget, daß er bey arrestierung seiner persohn sich der klägerin ihrer persohn und ihres zimmers und cohabitation gänzlich enthalten solle.

Reus will in die toleranz kurzumb nit verwilligen, sondern erclärt sich außtruckhentlich, er thue es nicht, sondrn, ist also balden in arrest verschafft, und dem cursori aufferelegt worden, daß er ihm nichts anders, alß wasser und brodt volgen lassen solle, biß das er sich bessert.

Ist in arrest verblieben biß 19ten dits, an wellchem der arrestierte auf sein erbietten und anglieben, das er sie weder mit wortt noch werkhen nicht offendieren, auch nicht in ihr zümmer khumen wölle, erlassen worden, doch stehet ihm sein beschwähr, da er eine zu haben vermeint, bevohr.

 

ein zu freizügiger Kleidungsstil …

Am 18. November 1776 erschienen Klara Freyin von Summerau und Gottfried Freiherr von Summerau vor dem Wiener Konsistorialgericht. Die Ehefrau äußerte, dass derzeit eine zusammenwohnung nicht friedlich seyn dürfte und verlangte, für eine bestimmte Zeit ihrem Ehemann den Zutritt zur Wohnung zu verbieten und getrennt leben zu dürfen. Als Gründe für die „Toleranz“ – wie der Zeitraum der Trennung bezeichnet wurde – gab Klara Freiin von Summerau folgendes an:

ihr gemahl habe sie jederzeit hart gehalten, verschiedene gefährliche trohungen gemacht, sein ganzes betragen wäre sehr unanständig, er halte sich in wäsch und kleidung unrein, wär vorhin öfters über nacht auf verdächtigen gründen geblieben, gehe zu haus vor den kindern und domestiquen im blossen hemd herum, gebe diesen üble beyspile, begehr in ipso actu conjugale ausschweifungen.

 

Das Laster der Selbstbefleckung

Ägyd von Liechtenstern, Kanzlist bei der kaiserlichen geheimen Reichshofkanzlei, wandte sich im Dezember 1781 an das Wiener Konsistorium. Seiner Aussage zufolge, halte er es im Haus seines Schwiegervaters Karl Fritz von Rustenfeld, in dem er gemeinsam mit seiner Ehefrau wohne, nicht länger aus. Ägyd von Liechtenstern äußerte vor Gericht, dass er unter dem Dach des Schwiegervaters „von seiner frau abgesondert leben [müsse] und ganz niederträchtig behandelt [werde]“ und bat das kirchliche Gericht, seiner Frau aufzutragen, dass sie zu ihm ziehe. Karl Fritz von Rustenfeld brachte zur Verteidigung seiner Tochter vor,

das seine tochter nie zur cohabitierung mit einem solchen mann könne verhalten werden, welcher sich dem laster der selbstbefleckung so sehr ergeben, daß selbes bey ihm ganz zur gewohnheit geworden und wodurch er sich die hinfallende krankheit, manchmallige hirn verzuckungen, raserey, abzehrrung und untauglichkeit zur erzeugung zugezochen.

 

In seiner Argumentation griff der Schwiegervater auf das reichhaltige Repertoire der Onaniedebatte zurück. Vielleicht hatte er ja eine der Schriften des Schweizer Arzts Simon Auguste Tissot gelesen, der in seinen Schriften gegen das Laster der Selbstbefleckung vorging.

 

Tissot, Simon Auguste: Versuch von denen Krankheiten, welche aus der Selbstbefleckung entstehen, Frankfurt/Leipzig 1760.

 

 

Die mit gutem Willen von beyden Seiten eingegangenen Trennungen sind in Wien sehr gemein.

Der Schriftsteller und Satiriker Johann Rautenstrauch veröffentlichte 1784 unter dem Pseudonym „Arnold“ ein dreiteiliges Büchlein, das er mit „Schwachheiten der Wiener. Aus dem Manuskript eines Reisenden“ betitelte. Darin finden sich interessante Beschreibungen aus dem (bürgerlichen bzw. adeligen) Wiener Alltag. Rautenstrauch äußerte sich beispielsweise über den „Ehestand“, den „Widerwillen für die Heyrath“, die „Spielsucht“ und die „Schminke“. Er verspottete die Kritiker des Josephinische Ehepatent, welches 1783 die Ehetrennung (= Trennung des Ehebandes mit Wiederverheiratungsoption) für Nichtkatholik*innen und die einvernehmliche Ehescheidung (= Scheidung von Tisch und Bett ohne Wiederverheiratungsoption) für katholische Ehepaare eingeführt hatte.

Der erzbischöfliche Pallast in Wien hallt täglich und stündlich von den Klagen wieder, welche Eheleute, die Eines des Andern müde sind, vor dem Konsistorium ausstossen, und doch ist die Ehescheidung nicht erlaubt. Die geheiligten Bande der Ehe, da ihre Unauflöslichkeit festgesetzt ist, werden also zerrissen.
Das Gesetz war endlich gezwungen, die eheliche Trennung, die noch weit empörender, als die Ehescheidung selbst ist, zu gestatten. Die mit gutem Willen von beyden Seiten eingegangenen Trennungen sind in Wien sehr gemein. So verlieren die heiligsten Gesetze ihre Kraft und Würde. - Unterdessen muß der Mann seiner Frau, in jedem Fall, ihren Unterhalt verschaffen, sie mag ihn durch üble Wirthschaft zu Grund gerichtet, oder durch unanständige Aufführung beschimpft haben.

Wer sich für die „Schwachheiten der Wiener“ interessiert, findet diese auf Phaidra, einem Repositorium zur dauerhaften Sicherung von digitalen Beständen der Universität Wien.

Andrea Griesebner/Susanne Hehenberger, 2016

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Zitation: Andrea Griesebner und Susanne Hehenberger, Einblicke (1558–1783) » Einstieg » Einblicke, in: Webportal. Ehen vor Gericht 3.0, 2024, <http://ehenvorgericht.univie.ac.at/?page_id=2454>. [Zugriffsdatum: 2024-11-21]