Ehepaare (1558–1783)

1. Quellenerhebung
2. Quantitative Ergebnisse

1. Quellenerhebung

Wie bereits im Menüpunkt Datenerhebung erläutert, recherchierten wir die Ehestreitigkeiten für ausgewählte Zeitsegmente zwischen 1558 und 1783 in den Protokollbüchern zweier kirchlicher Gerichte: des Konsistoriums der Diözese Wien und des Konsistoriums des unteren Offizialats des Bistum Passau. Zusätzlich zu den systematisch untersuchten 120 Jahren des Kernuntersuchungszeitraumes folgten wir den Spuren konkreter Ehepaare in den zeitlich angrenzenden Protokollbüchern. Auf diese Weise bekamen wir insgesamt 1.400 Ehepaare in den Blick, die in etwas über 2.300 Verfahren vor den Kirchengerichten die Anerkennung oder Weiterführung ihrer Ehe unter bestimmten Auflagen, eine befristete Trennung, eine unbefristete Scheidung oder die Annullierung forderten.

Herausfordernd bei der Suche nach frühneuzeitlichen Eheverfahren war nicht nur der unterschiedliche Aufbau der im Wiener Diözesanarchiv überlieferten Protokollbücher, die teilweise in einem Buch alle Angelegenheiten dokumentieren, mit denen Kirchengerichte zu tun hatten, teilweise die Ehesachen in getrennten Büchern oder Sektionen zusammenfassten. Während die Bücher des 18. Jahrhunderts in der Regel Indices enthielten, die die Suche nach bestimmten Personen erleichterten, war dies in den Büchern des 16. und. 17. Jahrhunderts nicht der Fall. Auch der Umstand, dass klagende Ehefrauen zuweilen ihren Geburts- oder auch Witwennamen anstelle des Nachnamens ihres Ehemanns benutzten, verkomplizierte die Quellenerhebung.

Aus den Protokolleinträgen der Kirchengerichte erschlossen sich, vor allem bei den Eheverfahren des 16. und 17. Jahrhunderts, nur wenige personenbezogene Daten, wie Geburts- und Sterbejahr der Eheleute, Herkunfts- und Wohnort, Alter und Zivilstand bei der Trauung, Berufstätigkeit und soziale Positionierung, Namen und Lebensdaten der in die Ehe mitgebrachten und während der Ehe geborenen Kinder. Einen Teil dieser fehlenden Daten konnten wir mithilfe systematischer, kombinierter Recherchen in der genealogischen Datenbank www.genteam.at und in den über Matricula online veröffentlichten Pfarrmatriken (https://data.matricula-online.eu/de/oesterreich/) recherchieren. Zur Auswertung entwickelten wir eine eigene Datenbank, die wir sukzessive erweiterten. Methodisch betrachtet war die Suche nach personenbezogenen Daten vor allem dann erfolgreich, wenn wir über die Namen der Ehepartner*innen hinaus, die oft in unterschiedlichen Schreibweisen vorkamen, auf weitere Anhaltspunkte wie etwa einen Wohnort und/oder ein ungefähres Trauungsdatum zurückgreifen konnten.

Zur Recherche wie auch zur Standardisierung der Orte und der Pfarren von der Mitte des 16. Jahrhunderts bis zur Gegenwart, nutzten wir zum einen das Ortsverzeichnis, welches die österreichische Post heute verwendet, zum anderen die Pfarrtabelle, welche das Team um Matricula Online für Wien und Niederösterreich entwickelte. Um sowohl für die qualitative als auch für die quantitative Analyse die Ehen differenzieren zu können, suchten wir vor allem nach Einträgen zur Heirat. Über die Trauungsbücher konnten wir nicht nur das Heiratsdatum eruieren, sondern in der Regel auch den Geburts- oder Witwennamen der Braut, oft auch den Zivilstand des Bräutigams.

Ehepaar Flamitzer*in

So gelang es uns etwa für das Ehepaar Flamitzer*in, deren 16 Jahre dauernde Streitigkeiten in insgesamt neun Protokollbüchern des untern Offizialats Passau dokumentiert sind, den Heiratseintrag zu finden. Ausgehend von dem in den Einträgen nur en passant erwähnten Wohnort St. Pölten, durchsuchten wir das mit einem Namensindex ausgestattete Trauungsbuch des Doms St. Pölten der Jahre 1587-1679 und wurden fündig. Wie nachstehender Screenshot aus dem Trauungsbuch zeigt, heirateten der Student der Rechte Johannes Nicolaus Flamitzer und Catharina Hözingerin, Witwe eines Riemers, am 18. Juli 1666 in Anwesenheit von vier Zeugen aus dem St. Pöltener Handwerks- und Ratsmilieu. Da der Bräutigam ledig war, finden sich im Trauungsbuch auch die Namen seiner Eltern und sein Geburtsort Kremsmünster. Von der Braut erfuhren wird aus dem Eintrag, dass sie in vorhergehender Ehe mit dem St. Pöltener Ratsbürger und Riemer Johann Hözinger verehelicht war.

Screenshot 1: Trauungseintrag Johann Nicolaus Flamitzer und Catharina Hözingerin, 18.7.1666, in: Trauungsbuch St. Pölten-Dom 1587-1679, pag. 439.

Auch ihre erste Ehe ist im Trauungsbuch des St. Pöltener Doms verzeichnet. Wir erfahren nicht nur, dass Catharina und Johann Hözinger am 6. Februar 1650 geheiratet hatten, sondern auch, dass Catharina die eheliche Tochter von Mathias und Maria Anna Dimblmayr*in war:

Screenshot 2: Trauungseintrag Johann Hözinger und Catharina Dimblmayrin, 6.2.1650, in: Trauungsbuch St. Pölten-Dom 1587-1679, pag. 309.

Wie in den abgebildeten Trauungseinträgen wurden bis weit ins 18. Jahrhundert meist keine Altersangaben von Braut und Bräutigam vermerkt. Im Fallbeispiel Flamitzer*in blieb die Suche nach den Sterbedaten, denen häufig eine Altersangabe des/der Verstorbenen zu entnehmen ist, sowohl über genteam als auch im Index des Sterbebuchs vom St. Pöltener Dom erfolglos; ebenso die Suche nach einem Taufeintrag für Catharina Dimblmayrin. Lediglich für Johann Nicolaus Flamitzer konnten wir sein Geburtsdatum eruieren: er war am 17. August 1642 in Kremsmünster getauft worden. Geburt und Taufe lagen in der Frühen Neuzeit zeitlich sehr nahe. Aufgrund der sehr hohen Säuglingssterblichkeit wurden die Neugeborenen zur Absicherung ihres Seelenheils so schnell wie möglich getauft, weshalb Geburts- und Taufdatum in der Regel gleichgesetzt werden können.

Screenshot 3: Taufeintrag Johann Flamitzer, 17.8.1642, in: Taufbuch VI Kremsmünster 1642-1653, pag. 4.

Aus dem Taufdatum konnten wir berechnen, dass Johann Nicolaus Flamitzer zum Zeitpunkt der Trauung knapp 24 Jahre zählte, während Catharina aufgrund ihrer vorangegangenen Ehe 10 bis 15 Jahre älter gewesen sein muss.
Da in den Konsistorialprotokollen an mehreren Stellen Kinder erwähnt wurden, erwies sich auch die gezielte Suche nach Taufen von Kindern mit dem Nachnamen Hözinger bzw. Hetzinger als sinnvoll. Aus Catharinas erster Ehe, die bis 1666 dauerte, konnten wir, wie der nachstehende Screenshot zeigt, in der Datenbank von genteam das Taufdatum von acht Kindern finden:

Screenshot 4: genteam-Abfrage katholische Indices, Filter: Hetzinger + Niederösterreich + bis 1666 + Taufen (https://www.genteam.at/index.php?option=com_matriken_kath)

Wie viele Kinder die ersten Lebenswochen bzw. Lebensjahre überlebten und Catharina in die zweite Ehe einbrachte, konnten wir nicht eruieren, da die Sterbebücher des St. Pöltener Doms erst ab 1680 überliefert sind. Über den Index eines Taufbuches konnte jedoch die Taufe von Hans Michel Flamitzer, dem Sohn des neuen Ehepaares, gefunden werden. Wie nachstehender Screenshot zeigt, wurde er am 22. September 1667 getauft.

Screenshot 5: Taufeintrag Hans Michel Flamitzer, 22.9.1667, in: Taufbuch St. Pölten-Dom 1621-1670, pag. 660.

Als Eltern sind der Bürger „Johann Flämützer“ und dessen Ehefrau Catharina genannt. Nicht gefunden haben wir hingegen die Taufe eines weiteren Kindes des Ehepaares Flamitzer*in, welches laut einer im Konsistorialprotokoll vermerkten Aussage von Catharina Flamitzerin am 14. Februar 1672 geboren wurde.

Das Beispiel der Recherchen zum Ehepaar Flamitzer*in verdeutlicht, dass mithilfe der in den letzten Jahren stetig erweiterten Informationen, die mit der Datenbank genteam und den digitalisierten Pfarrmatriken online zur Verfügung stehen, aufschlussreiche biographische Erkenntnisse gewonnen werden können. Auch wenn generell die Suche nach Eheleuten, die im 16. und 17. Jahrhundert in Niederösterreich lebten, weniger Ergebnisse erzielen als die Suche nach Paaren, die im 18. und 19. Jahrhundert in Wien lebten, konnten für das Ehepaar Flamitzer*in zentrale Fragen beantwortet werden:

  • Zivilstand: Catharina war zum Zeitpunkt der Trauung Witwe, der Bräutigam Johann Nicolaus Flamitzer Junggeselle
  • Heiratsdatum und Ort: 18. Juli 1666 im Dom von St. Pölten
  • Ehedauer: zum Zeitpunkt der ersten Klage im Jänner 1670 war das Ehepaar Flamitzer*in im vierten Jahr verheiratet. Am 1. Oktober 1681, also nach 15 Ehejahren, fällten die Konsistorialräte ein Urteil im Scheidungsverfahren. Obwohl dieses nicht überliefert ist, kann aus einem späteren Exekutionsverfahren geschlossen werden, dass das Ehepaar nicht mehr zusammenlebte, also entweder eine befristete Trennung oder eine unbefristete Scheidung von Tisch und Bett zugesprochen bekommen hatte.
  • Soziale Positionen: Catharina, geborene Dimblmayrin, war in erster Ehe mit dem St. Pöltener Ratsbürger Johann Hözinger verheiratet, der als Riemer im Leder verarbeitenden Handwerk tätig war. Neben dem Gewerbe, dem Haus und ihrem sonstigen Vermögen brachte sie eine zumindest 10jährige Eheerfahrung und mehrere Kinder in die neue Ehe ein. Johann Nicolaus Flamitzer entstammte als Sohn eines in Kremsmünster ansässigen Kürschner-Ehepaares zwar dem verwandten Handwerk der Pelzverarbeitung, strebte jedoch mit dem Studium der Rechte einen anderen Berufsweg und den sozialen Aufstieg an.
  • Wohnort des Ehepaares: Catharina hatte bereits ihre erste Ehe in St. Pölten geschlossen, war demnach lange Jahre in der niederösterreichischen Stadt ansässig. Ob ihr erster Ehemann aus St. Pölten stammte, wissen wir nicht. Gesichert ist hingegen, dass sie mit ihrem ersten Ehemann in St. Pölten gelebt hatte und der zweite Ehemann, Johann Nicolaus Flamitzer aus Kremsmünster bzw. Wien, wo er studierte, in den St. Pöltener Haushalt der Ehefrau gezogen war.

2. Quantitative Ergebnisse

HEIRATSDATUM
Trotz der oft nur sehr knappen Einträge in den Konsistorialprotokollen konnten wir für rund ein Viertel (24,6 %) der 1.400 Ehepaare, welche in den untersuchten Zeitsegmenten zumindest ein Eheverfahren vor dem Konsistorium des Unteren Offizialats des Bistum Passau oder dem Konsistorium der (Erz-)Diözese Wien führten, das Heiratsdatum eruieren. Auch wenn wir den Wohnort des Ehepaares rekonstruieren konnten, blieb die Suche nach dem Heiratseintrag oft ergebnislos. Hintergrund dafür ist die Anordnung, dass die Trauung in der Pfarre der Braut zu erfolgen hatte. Nachstehende Tabelle weist einerseits die Anzahl der Ehepaare in den untersuchten Zeitsegmenten aus und zeigt andererseits, für wie viele dieser Ehepaare unsere Recherche nach dem Heiratsdatum erfolgreich war.

Tabelle 1: Untersuchungszeitraum | Heiratsdatum

ZIVILSTAND | TRAUUNG
Aus den Einträgen in den Trauungsbüchern konnten wir für 255 Ehefrauen und 182 Ehemänner ihren Zivilstand zum Zeitpunkt der Hochzeit feststellen.

Tabelle 2: Zivilstand bei der Trauung nach Geschlecht

Auf den ersten Blick überraschte uns der Befund, dass es für knapp mehr als die Hälfte der Frauen wie auch der Männer nicht die erste Ehe war. Weniger überraschend ist der Befund dann, wenn wir nicht nur bedenken, dass viele Frauen im Kindbett starben, sondern auch Kriege, Naturkatastrophen, Seuchen und Armut eine hohe Sterblichkeit mit sich brachten. Für die Interpretation der Eheverfahren ist dieser Befund vor allem insofern von Bedeutung, als verwitwete Männer und Frauen nicht nur Erfahrungen und eventuell auch Kinder in die neue Ehe mitbrachten, sondern in aller Regel auch Vermögen aus vorangegangenen Ehen.
Bei 153 der 345 Ehepaare konnten wir anhand der Einträge in den Trauungsbüchern den Zivilstand beider Brautleute eindeutig zuordnen. Wie nachstehende Tabelle zeigt, waren nur in ca. einem Drittel (32,7 %) der Fälle sowohl Braut als auch Bräutigam ledig. In der zweithäufigsten Konstellation heiratete ein Witwer eine ledige Frau (28,6 %). An dritter Stelle (20,9 %) folgte die Konstellation, wie wir sie oben im Fall des Ehepaars Flamitzer*in beschrieben haben, hatte sich eine Witwe zu einer Ehe mit einem meist erheblich jüngeren Junggesellen entschlossen. Mit 17,6 % war statistisch betrachtet die Konstellation, dass eine verwitwete Frau und ein verwitweter Mann beschlossen, den weiteren Lebensweg als Ehepaar zu verbringen, in unserem Sample am seltensten.

Tabelle 3: Zivilstand bei der Trauung pro Ehepaar

HEIRATSALTER
Wie am Beispiel des Ehepaares Catharina und Johann Nicolaus Flamitzer*in verdeutlicht, finden sich weder in den Konsistorialprotollen noch in den frühneuzeitlichen Trauungsmatriken Hinweise auf das Alter der Ehepartner*innen. Die Beantwortung der Frage nach dem Heiratsalter stellte für das Forschungsteam eine Herausforderung dar. In einigen wenigen Fällen ist es uns gelungen, das Alter von Braut und Bräutigam entweder über das Taufbuch oder über Altersangaben in den Sterbematriken zu berechnen. Die Altersangaben sind mit Vorsicht zu interpretieren. Verlässlich sind die Taufmatriken, da wie erwähnt zwischen Geburt und Taufe, wenn überhaupt, nur einige wenige Tage lagen. Die Altersangaben in den Sterbematriken sind oft eher eine grobe Schätzung. Dies vor allem dann, wenn die verstorbenen Personen ein hohes Alter erreicht hatten.
Wie nachstehende Tabelle zeigt, konnten wir mit diesem zusätzlichen Rechercheaufwand für 46 Frauen und für 52 Männer das Heiratsalter rekonstruieren. Dies gelang uns vor allem für Ehepaare, die ihren Ehekonflikt im letzten Zeitsegment der kirchlichen Gerichtsbarkeit, also zwischen 1772 und 1783 geführt hatten. Mit neun Frauen (19,5 %) bzw. elf Männern (21,2 %) ist der Anteil von Ehen erstaunlich hoch, wo zumindest ein Eheteil bei der Hochzeit über 50 Jahre alt war. Sieben Frauen, aber nur drei Männer waren bei der Hochzeit unter 21 Jahre alt.
Wie nachstehende Tabelle ebenfalls zeigt, war eine Braut bei der Hochzeit sogar unter 15. Bei der ersten Interpretation dieses quantitativen Befundes dachten wir zuerst an einen Eingabefehler in der Personendatenbank. Die Überprüfung des Datensatzes ergab, dass wir uns nicht geirrt hatten. Am 9. November 1778 waren in der Wiener Pfarre St. Stephan die 14-jährige Anna Maria Fritz von Rustenfeld und der 24-jährige Ägyd von Liechtenstern getraut worden. Das Trauungsprotokoll vermerkt das Einverständnis von Carl Fritz von Rustenfeld, dem Vater der minderjährigen Braut. Eine Gegenprüfung mit den Taufmatriken von St. Stephan belegt das Alter von Anna Maria. Sie wurde am 27. März 1764 getauft, war also bei der Hochzeit tatsächlich vierzehneinhalb Jahre alt.

Tabelle 4: Alter bei der Trauung nach Geschlecht

ALTERSDIFFERENZ DER EHEPAARE
Für 36 der frühneuzeitlichen Ehepaare gelang es uns, sowohl für den Ehemann als auch für die Ehefrau das Alter zu eruieren: Wie nachstehende Tabelle zeigt, wies nur ein Ehepaar keine Altersdifferenz auf. Etwas mehr als ein Viertel der Ehepaare (27,8 %) waren annähernd gleich alt, hatten eine Altersdifferenz bis zu 5 Jahren. Aus geschlechtergeschichtlicher Perspektive ist spannend, dass bei 14 Ehepaaren die Ehefrauen, bei 21 Ehepaaren die Männer zum Teil erheblich älter waren. Während in der Konstellation ältere Ehefrau und jüngerer Ehemann nur in drei Fällen die Ehefrau um mehr als 20 Jahre älter war, finden sich in der Konstellation jüngere Ehefrau und um mehr als 20 Jahre älterer Ehemann immerhin 7 Ehepaare. Auch wenn die wenigen Zahlen nicht repräsentativ sind, so lenken sie doch unser Augenmerk darauf, dass hohe Altersdifferenzen strukturell ein erhöhtes Konfliktpotenzial zukam.

Tabelle 5: Alterdifferenz der Ehepartner*innen

SOZIALE POSITION BEI DER TRAUUNG
Für 106 Männer und 79 Frauen konnten wir über die in den Heiratsmatriken eingetragenen beruflichen Angaben eine grobe soziale Verortung vornehmen und sie einem sozioökonomischen Sektor zuordnen. Auch diese Angaben sind mit Vorsicht zu interpretieren. Zum einen war es aufgrund des langen Untersuchungszeitraums schwierig, Raum und Zeit übergreifende Sektoren zu definieren. Zum anderen erschwerten die für heutige Leser*innen oft schwer einzuordnenden Berufsangaben eine Zuteilung zu den gebildeten Sektoren.
Herausfordernd war schließlich auch die patriarchale Logik der Matrikenführung. Waren Braut und Bräutigam bei der Hochzeit ledig, so fanden sich in aller Regel keine Berufsangaben vermerkt, sondern wurden diese als Töchter bzw. Söhne des Ehepaares XY positioniert. War bei ledigen Brautleuten ein Beruf eingetragen, dann meist nur beim Bräutigam. Verwitwete Frauen wurden über den verstorbenen Ehemann positioniert, nicht aber verwitwete Männer über die verstorbene Ehefrau. Von verstorbenen Ehemännern erfuhren wir aus den Matriken oft deren Namen und deren Beruf, von verstorbenen Ehefrauen dagegen häufig nicht einmal ihre Namen.
Wie im Menüpunkt Scheidungsfolgen – Normen beschrieben, war es aufgrund des vorherrschenden Ehegüterregimes und Erbrechts nicht unwahrscheinlich, dass die Braut oder der Bräutigam das Handwerk oder Gewerbe der Eltern übernahm und in die Ehe einbrachte. Methodisch entschieden wir uns daher, ledige Brautleute, von denen wir sonst keine Informationen hatten, den sozioökonomischen Sektoren der Eltern zuzuordnen. Das vorherrschende Ehegüterregime der Gütergemeinschaft hatte zur Folge, dass verwitwete Ehepartner*innen zumindest die Hälfte des ehelichen Vermögens erbten. Erfuhren wir, wie im Fallbeispiel Flamitzer das Handwerk des verstorbenen Ehemannes, so haben wir die verwitwete Braut diesem Handwerk zugeordnet. Methodisch spricht dafür die Überlegung, dass Ehepaare das Handwerk bzw. Gewerbe in aller Regel nicht nur gemeinsam besaßen, sondern auch gemeinsam ausübten, in die neue Ehe einbrachten und mit dem neuen Ehepartner, der neuen Ehepartnerin weiterführten.

Tabelle 6: Sozioökonomische Position bei der Trauung nach Geschlecht

EHEDAUER BIS ZUR ERSTEN KLAGE EINES EHETEILS
Setzen wir das Trauungsdatum mit dem Datum der ersten Klage eines Eheteils bzw. dem Datum der ersten Anzeige des Pfarrers in Bezug, so zeigt sich, dass in nahezu der Hälfte der Fälle die Ehekonflikte bereits in den ersten fünf Ehejahren so schwerwiegend waren, dass sie in den Protokollbüchern der beiden untersuchten Konsistorien Spuren hinterließen. Zu dieser größten Gruppe zählte auch das oben beschriebene Ehepaar Flamitzer*in, wo der Ehemann erstmals im vierten Ehejahr die Scheidung beantragte.
Ein gutes Fünftel  der Ehepaare (22 %) war bei der ersten Klage bzw. Anzeige vor dem Konsistorium zwischen sechs und zehn Jahren verheiratet und etwa ein Viertel (24 %) zwischen 11 und 20 Jahren. Immerhin 7,9 % der Ehepaare waren beim ersten, vor dem Konsistorium ausgetragenen Ehekonflikt, länger als 20 Jahre verheiratet, drei Ehepaare sogar länger als 30 Jahre.

Tabelle 7: Ehedauer bis zum ersten Eheverfahren

ALTER BEIM ERSTEN EHEVERFAHREN
Für 58 Frauen und 62 Männer konnten wir das Alter beim ersten Eheverfahren rekonstruieren. Diese im Vergleich zum Alter bei der Ehe leicht höhere Anzahl der Daten ergibt sich daraus, dass wir bei einigen Ehepaaren das Geburtsjahr anhand von Tauf- oder Sterbedaten eruieren konnten, die Suche nach dem Heiratseintrag aber vergeblich war. Wie die nachstehende Tabelle zeigt, waren drei Frauen, darunter die bereits erwähnte Anna Maria von Liechtenstern beim ersten Eheverfahren vor dem Konsistorium unter 20 Jahre alt. Bemerkenswert hoch ist mit 16 Frauen und 18 Männern der Anteil an Ehepaaren, wo zumindest ein Eheteil das 50. Lebensjahr bereits überschritten hatte. Diese Zahlen müssen selbstverständlich in Relation zum Alter bei der Heirat gesetzt werden, wo wie oben erwähnt rund ein Fünftel der Männer und Frauen das 50. Lebensjahr überschritten hatte.

Tabelle 8: Alter beim ersten Eheverfahren nach Geschlecht

SOZIALE POSITION WÄHREN DER EHE
Die in nachstehender Tabelle aufgelisteten sozialen Positionen geben einen groben Einblick, womit ein Ehepaar seinen Lebensunterhalt vorwiegend verdiente. Wie wir bereits erwähnten, schätzten wir uns glücklich, wenn wir aus den Einträgen in den Protokollbüchern Rückschlüsse über den Erwerb von Ehepaaren ziehen konnten. Bei einigen Ehepaaren konnten wir die berufliche Tätigkeit des Ehemannes, teilweise auch der Ehefrau, über die Verfahren zum Unterhalt bzw. über die Anträge zu dessen Exekution entnehmen. Bei anderen Ehepaaren stammen die Informationen wiederum aus den Taufeinträgen von Kindern oder aus den Angaben in den Sterbematriken. Die Zuordnungen stellen auch deshalb Annäherungswerte dar, weil die Eheverfahren sich teilweise über Jahre erstreckten und sich in diesem Zeitraum die Tätigkeitsbereiche veränderten, indem etwa der gemeinsam geführte Handwerksbetrieb in Konkurs ging und verkauft werden musste.
Um nicht die normative patriarchale Logik zu übernehmen, haben wir die soziale Position der Frauen nicht über jene des Ehemannes rekonstruiert, sondern eine Zuordnung nur dann vorgenommen, wenn die Ehefrau entweder über einen vom Ehemann unabhängigen Beruf, beispielsweise als Hebamme verfügte, oder wir aufgrund des Kontextes sicher waren, dass das Ehepaar den Handelsbetrieb, das Handwerk oder Gewerbe gemeinsam führte bzw. den Bauernhof gemeinsam bewirtschaftete. Der Preis für diese Entscheidung ist, dass wir weniger Informationen zu den Ehefrauen als zu den Ehemännern haben.

Tabelle 9: Sozioökonomische Position der Ehepartner*innen nach Geschlecht

Wie obige Tabelle zeigt, konnten wir für 95 der 1.400 Ehefrauen (6,8 %) und für fast die Hälfte der Ehemänner (642 bzw. 45,9 %) eine grobe Zuordnung zu einem Wirtschaftssektor treffen. Dass das Sample nur wenige Ehefrauen und Ehemänner im Bereich der Landwirtschaft umfasst, dürfte vor allem daran liegen, dass in den Protokollen der Konsistorien, aber auch in den Pfarrmatriken Berufsangaben in aller Regel nur dann eingetragen wurden, wenn die Personen nicht ausschließlich in der Landwirtschaft tätig waren. Betrachten wir die Handwerks- und Gewerbesparten genauer, so zeigt sich, dass mehr als ein Drittel der Ehemänner in der Bekleidung und Textilien erzeugenden sowie Leder verarbeitenden Branche und ein weiteres Viertel im Bereich von Bau, Holz und Metall tätig waren.  Auch Ehemänner aus der Nahrungs- und Genussmittelbranche waren mit 14,4 Prozent relativ häufig in kirchliche Eheverfahren verwickelt. Mit 8,3 Prozent überraschend hoch ist der Anteil der Gastwirte.

Tabelle 10: Handwerk und Gewerbe der Ehepartner*innen nach Geschlecht

WOHNORT WÄHREND DER EHE
Obwohl wir von 345 Ehepaaren den Trauungseintrag fanden, konnen wir nur für 233 Ehepaare klären, an welchen Ort bzw. Orten diese nach der Hochzeit lebten. Wie erwähnt fand die Trauung in aller Regel in der Pfarre der Braut statt. Lebte das Ehepaar nicht in der Nähe der Pfarre der Braut, so konnten wir Rückschlüsse auf den Wohnort des Ehemannes nur dann ziehen, wenn dieser in den Matriken eingetragen war oder in den Eheverfahren erwähnt wurde. Den Wohnort des Ehepaares konnten wir mit Sicherheit dann bestimmen, wenn wir in den Pfarrmatriken die Taufe von Kindern fanden. Die Wohnortspfarre diente uns daher oft als Ausgangspunkt zur Bestimmung des Wohnortes. Wie oben beschrieben, verwendeten wir dazu ein leicht adaptiertes Verzeichnis der österreichischen Post, um die Wohnadressen bzw. Wohnpfarren geografisch einem heutigen Ort, einer Gemeinde, einem Bezirk und einem Bundesland zuzuweisen. Wie die folgende Tabelle der Bezirke zeigt, kamen die 233 Ehepaare aus nahezu allen heutigen Bezirken Niederösterreichs sowie aus nahezu allen heutigen Bezirken der Stadt Wien. In der Tabelle noch enthalten ist der niederösterreichische Bezirk Wien-Umgebung. Dieser wurde mit 1. Jänner 2017 aufgelöst und die Gemeinden den angrenzenden niederösterreichischen Bezirken zugeordnet.

Tabelle 11: Wohnorte des Ehepaares

Betrachten wir nur die 59 Ehepaare, von welchen wir wissen, dass sie ihren gemeinsamen Lebensmittelpunkt in einem der heutigen Wiener Bezirke hatten, so fällt auf den ersten Blick auf, dass einige Wiener Bezirke fehlten. Dies hat nicht damit zu tun, dass Ehepaare aus diesen Bezirke ihre Ehekonflikte nicht vor dem Wiener Konsistorium austrugen, sondern mit der Zugänglichkeit der Pfarrmatriken. Zum Zeitpunkt der Recherchen waren noch nicht alle Pfarrbücher digitalisiert und auf Matricula freigeschaltet. Nicht weiter überraschend ist, dass 17 der Ehepaare in der heutigen Innenstadt lebten, die in der Frühen Neuzeit sehr dicht besiedelt war.

Tabelle 12: Wiener Wohnorte des Ehepaares

Susanne Hehenberger, Andrea Griesebner, November 2020

Weiter: Ehepaare (1783–1850)
Zitation: Susanne Hehenberger und Andrea Griesebner, Ehepaare (1558–1783) » Einstieg » Ehepaare, in: Webportal. Ehen vor Gericht 3.0, 2024, <http://ehenvorgericht.univie.ac.at/?page_id=10126>. [Zugriffsdatum: 2024-12-18]